Abiturrede 2017 – Martin Luther und die Reformation
Liebe Eltern und Großeltern, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, vor allem aber liebe Schülerinnen und Schüler unseres elften Abiturjahrgangs an der EGG.
Als Schulleiter der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck begrüße ich sie alle herzlich zur diesjährigen festlichen Abschlussfeier unserer Abiturienten. Alle Menschen, die in unserem vollbesetzten Theater sitzen haben einen Grund gemeinsam zu feiern, also: Herzlich willkommen!
Mittlerweile muss ich übrigens darauf achten, dass - da ich die meisten von euch bereits vor drei Jahren aus der Sekundarstufe I verabschiedet hatte - ich etwas anderes thematisiere als beim 10er-Abschluss – denn sicherlich wissen die damals Beteiligten noch ganz genau, worüber ich seinerzeit gesprochen hatte!
Die Rede hatte als Aufhänger ein Thema, welches mittlerweile an der EGG völlig überholt ist und wer hätte das vor drei Jahren gedacht. Es ging um den Pausengong, den ihr – so hatte ich damals errechnet – bis zum Ende der Jahrgangsstufe 10 etwa 18.360 mal gehört hattet. Und ich hatte seinerzeit geendet mit den Worten: „Umso stolzer sind wir an der EGG darauf, dass tatsächlich der größte Teil von euch sich der Diktatur dieses Gongs für weitere drei Jahre freiwillig unterwerfen will.“
Weit gefehlt, denn nun das: Seit mittlerweile einem Jahr ist der Gong an der gesamten Gesamtschule ausgeschaltet, ohne dass er vermisst werden würde. Da macht weiteres Rechnen für die Abiturrede überhaupt keinen Sinn mehr, aber ihr könnt von euch behaupten, dass ihr Teil dieser historischen Entscheidung in den Schulgremien der EGG ward.
Und damit komme ich zu meinem eigentlichen Thema der diesjährigen Abiturrede und was könnte das Thema in diesem 500. Jubiläumsjahr anderes sein, als sich mit Martin Luther und der Reformation zu befassen. Vielleicht hattet ihr angenommen, dass ihr dieser Schwerpunktsetzung entkommen könntet, weil die Reformationsfeierlichkeiten an der Schule schwerpunktmäßig erst mit dem Luthertag am Mittwoch in einer Woche begangen werden, aber weit gefehlt:
Um das Jahr 1500 gab es in den Schulen keinen Pausengong. Der Unterricht dauerte je nach den Lichtverhältnissen bis zu 12 Stunden. Im Sommer begann er um 5 Uhr morgens und endete um 5 Uhr abends. Neben dem Lehrer gab es eine unterschiedliche Anzahl von Helfern. Die Kinder selbst waren in mehrere Gruppen eingeteilt. Ein Wechsel von einer Gruppe in eine andere konnte alle Vierteljahre je nach den Lernerfolgen stattfinden. Der Unterricht selbst bestand aus stundenlangem Lesen, Zuhören und Memorieren, eingebettet in feste Regeln. Pausen waren beispielsweise in den Geistlichen Schulen durch die Tatsache in den Alltag integriert, dass alle Schüler und Lehrer an allen Gottesdiensten und den Leichenbegängnissen teilnehmen mussten. Und von denen gab es viele, denn die statistische Lebenserwartung lag bei etwa 30 Jahren. Etwas mehr als die Hälfte der Kinder starb vor dem Erreichen des sechsten Lebensjahres.
Martin Luther, geboren 1483 verbrachte seine ersten anderthalb Lebensjahrzehnte mitten im Aufbruch der Bergbauregion im Harz. Seine Kindheit war bestimmt durch den Alltag einer jungen Bergunternehmerfamilie, die einerseits damit beschäftigt war die Chancen des boomenden Montangewerbes zu nutzen und andererseits die eigene, wachsende Kinderschar zu versorgen. Der daraus hervorgehende Plan, den Aufstieg der Familie durch ein Jurastudium des ältesten Sohnes abzusichern, war nicht außergewöhnlich. Trotzdem waren diese Jahre für den jungen Martin hart und entsagungsreich. In Magdeburg (1497 ff.) wie in Eisenach, Orte in denen Luther zur Lateinschule ging, musste er „um sein Brot singen“, d.h. seinen Lebensunterhalt teilweise durch Betteln bestreiten.
Vor seinem Studium im Kloster besuchte Martin Luther eine sogenannte Lateinschule, in der der Sadismus einiger Lehrer gegenüber ihren Zöglingen stark ausgeprägt war. So schreibt Luther selbst:
"Da kriegt ein Schulmeister seine Henkersrute aus einem Eimer voll Wasser, haut, peitscht und tummelt den armen Schelm auf Posteriori herum, daß er schreit, daß mans über das dritte Haus hören möchte, hört auch nicht auf, bis dicke Schwülen auflaufen und das Blut herunterläuft. Teils (viele) Schulmeister sind so böse Teufel, daß sie Draht in die Rute flechten oder kehren die Rute um und brauchen das dicke Ende.“ (in: Max Bauer, Liebesleben in deutscher Vergangenheit, Berlin 1924, S. 115/116).
Wie kam es aber von solchen eigenen schulischen Erfahrungen des jungen Luther um das Jahr 1500 innerhalb von knapp 20 Jahren dazu, dass der Reformator Luther 1524 überall in Deutschland Gehör fand und an die Ratsherren aller Städte deutschen Landes schreiben konnte und damit das Bildungsverständnis bis heute beeinflusste: „Ehe ich wollte, dass Hochschulen und Klöster so blieben, wie sie bisher gewesen sind (so dass keine andere Weise des Lehrens und Lebens für die Jugend in Anwendung käme), wollte ich lieber, dass ein Knabe nie etwas lernte und stumm wäre. Denn es ist meine ernsthafte Meinung, meine Bitte und mein Wunsch, dass diese Eselsställe und Teufelsschulen entweder im Abgrund versänken oder in christliche Schulen verwandelt würden.“
Meine These hierzu, der ich im Folgenden nachgehen möchte, lautet:
Es handelt sich um eine für die damalige Zeit einmalig günstige Mischung (der Theologe würde sagen: ein Kairos) aus Vertrauen in die Authentizität eines Menschen und seinen Ideen einerseits und die Nutzung einer Medienrevolution durch diesen andererseits.
Dabei muss der Redner vorsichtig sein, weil Vertrauen auch ein im Übermaß benutztes Zauberwort der Gegenwart ist: Mit „Vertrauen“ werben mehr oder weniger alle: Parteien, Produktmarken, Banken, Ärzte, Dienstleister. Vertrauen sollen und müssen wir zum Beispiel, dass VW bei den Abgaswerten nicht mehr schummelt, dass der Arzt die Laborergebnisse richtig deutet und dass hoffentlich nichts Schlimmes in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen steht, die man da gerade per Mausklick als gelesen bestätigt hat. In unserem Fall geht es aber um viel mehr und gleichzeitig auch um etwas anderes:
Ich sagte, es handele sich um das Vertrauen in die Authentizität eines Menschen und seine Ideen. Authentisch das meint hier echt, original, aber auch wahrhaftig im Sinne des Selbst-Seins. Auch diese Vorstellung ist ein Erbe der Reformation sowie der Aufklärung und es hängt eng zusammen mit der Idee der Autonomie. Ein Individuum und in vollem Sinne verantwortlich bin ich erst, wenn ich mir das Gesetz meines Handels selbst gebe, beziehungsweise wenn ich die Regeln meines Handelns frei übernehme, aus eigener Entscheidung. Wichtig ist dabei die Übereinstimmung mit sich, eine beständige Homogenität des Ich als einer Einheit. Wer tut, was er für richtig hält, wie Luther in seinem „Hier stehe ich und kann nicht anders“, wirkt glaubwürdig. Helden, und ein solcher war Luther für mich auf dem Wormser Reichstag 1521, verkörpern dieses Prinzip auf besondere Weise, weil sie mit ihrer ganzen Person für eine Sache bürgen.
In biographisch-chronologischer Durchdringung lässt sich das bei Martin Luther an verschiedenen Ereignissen festmachen, von denen ich lediglich drei exemplarische auswähle:
Erstes Ereignis:
Im Sommer 1505 befindet sich Luther in einer Lebenskrise, die dazu führen wird, dass er sein Jurastudium an den Nagel hängen wird um ins Kloster zu gehen. Natürlich handelt es sich auch um einen klassischen Vater-Sohn-Konflikt, also einen Generationenkonflikt mit umgekehrten Vorzeichen. Auf der einen Seite der Vater als neuzeitlicher Erfolgsmensch dem der gesellschaftliche Aufstieg (wir hörten bereits davon) der Familie mehr galt als alles andere und der diesen Aufstieg durch das Jurastudium seines Sohnes absichern will. Auf der anderen Seite der Sohn, der einen Schritt rückwärts tut, in das Mönchtum, „das längst sein altes Ansehen verloren hatte und weithin der Geringschätzung preisgegeben war.“ (Schilling, S. 83) Im Gewitter von Stotternheim bei Erfurt erkennt Martin Luther die Kraft Gottes, die ihm Zeit seines Lebens unerschütterliche Stabilität verleihen wird. Seinem Vater wird er schreiben, dass er „durch Schrecken und Angst vor einem plötzlichen Tod“ diese radikale Veränderung seines Lebens vollzog, bei der er sich auch von niemandem hineinreden ließ.
Verknüpfen wollte ich das schicksalhafte Einzelereignis Luthers, welches es zu diesem Zeitpunkt ist, mit der damaligen Medienrevolution, die eng verbunden ist mit dem Namen Johannes Gutenberg, weil nur dadurch die weitere Entwicklung der Reformation verständlich wird. „Gutenbergs Leitidee war es, aufwendige Buchmanuskripte formschön, korrekt, gut lesbar und in höherer Stückzahl zu reproduzieren. Hinsichtlich der Ausstattung der Bücher orientierte er sich weitgehend an der Ästhetik handgeschriebener Codices .“ (Kaufmann, S. 73)
Um 1500 gab es bereits in 150 Städten rund 1000 Druckereien. Kaufmann fasst hier zusammen: „Um die Jahrhundertwende hatten diese etwa dreißigtausend unterschiedliche Titel in rund neun Millionen Einzeldrucken produziert; wahrscheinlich wurden in den fünf Jahrzehnten der Gutenberg-Ära mehr Bücher hergestellt als in dem gesamten vorangegangenen Jahrtausend des lateinischen Mittelalters in allen Klosterskriptorien zusammen.“ (Kaufmann, S. 74)
Parallel dazu kam es zu zahlreichen Universitätsgründungen. 1378 wurde die erste Universität in Prag gegründet und zwischen 1400 und 1500 kamen 41 weitere Universitäten in Europa hinzu. In diesem Kontext steht auch die Universitätsgründung von Wittenberg (1502), die ein Prestigeobjekt Friedrichs des Weisen war, mit dem er den Makel beseitigen wollte, dass sein Kurfürstentum als einziges neben Brandenburg keine Landesuniversität besaß.
Zweites Ereignis:
Im Herbst 1517 kulminiert – wie wir alle wissen – Luthers wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Ablasshandel in der Veröffentlichung der 95 Thesen an der Schlosskirche zu Wittenberg. Wirtschaftlich ging es bei der Ablasskampagne - nach Auffassung des renommiertesten Lutherbiographen Schilling - um eine unheilige „Verbindung von frühmoderner Finanztechnik und Seelsorge.“ (Schilling, 158) Die eine Hälfte der Einnahmen des Dominikanermönchs Johannes Tetzel und seiner Mitarbeiter, diente dem Neubau des Petersdoms in Rom und die andere Hälfte dazu, dass der Hohenzollernprinz Albrecht von Magdeburg, der sich kirchenrechtswidrig auf zwei Erzbistümer hatte wählen lassen und dafür Schulden zu begleichen hatte, diese bei den Fuggern wieder zurückzahlen konnte. Mit dem Ablasshandel setzen sich neben Martin Luther verschiedene Personen theologisch und publizistisch auseinander, sodass es kein Wunder ist, dass an diesem Thema die Konfliktdynamik der zeitgenössischen Gesellschaft aufbrach.
Luther selbst ging mit seiner Kritik an dem Ablasshandel frei vor und sprach sich nicht mit seinem Landesherrn ab. Er war aber kein einsamer Mönch oder isolierter Buchgelehrter im akademischen Elfenbeinturm, sondern er stand bereits zu diesem Zeitpunkt in regem geistigem Austausch mit verschiedenen Menschen am Hof an verschiedenen Universitäten und im Stadtbürgertum Wittenbergs. Nachdem die 95 Thesen auf nicht mehr nachzuvollziehenden Wegen in die Hände auswärtiger Drucker gelangten, witterten diese ein gutes Geschäft und die Nachdrucke verbreiteten sich schnell über das gesamte Deutsche Reich: Martin Luder, wie er zu diesem Zeitpunkt noch hieß, wurde quasi über Nacht bekannt und die europäischen Netzwerke des Buchhandels, die durch den Humanismus etabliert, gestärkt und belebt worden waren, kamen ab diesem Zeitpunkt der Verbreitung Luther’scher Texte zugute. Seine eingangs beschriebene Authentizität tritt auch hier zutage, weil er in der Anfangsphase des Konfliktes mit dem Papsttum – da die Unterstützung seiner Person auch lebensgefährlich war - von anderen eher in persönlichen Briefen und nicht in öffentlichen Kundgebungen unterstützt wurde, was ihn zu der Aussage veranlasste: „Jedermann ließ mich alleine verzappeln mit den Papisten.“
In diese Zeit fällt auch seine Rechtfertigungslehre, also die reformatorische Erkenntnis, „dass in >Christus, Gottes Sohn, wahrer Mensch und wahrer Gott, uns von Gott die Gerechtigkeit, Weisheit und Stärke umsonst geschenkt ist.“ (Schilling, S. 152) Diese Erkenntnis bedeutet eine radikale Aufwertung des Glaubens als der maßgeblichen Beziehung des Menschen zu Gott. Mit dieser Gewissheit unterschreibt er ab diesem Zeitpunkt seine Texte mit dem griechischen Wort ‚Eleutherios‘, was zugleich der Befreite und der Befreier bedeutet. „Das zentrale >th< des griechischen Namen übertrug er in seinen Familiennamen und wechselte so von Martin Luder zu Martin Luther, der Name, unter dem er berühmt wurde.“ (Schilling S. 171)
In den nächsten Jahren kann er durchaus als erster volkssprachlicher Publizist bezeichnet werden. „Luther schrieb (laut Kaufmann) um sein Leben, er rettete sich durch seine Schriften, durch sein Schreiben.“ (Kaufmann, S. 17)
Drittes Ereignis:
Aufgrund der zahlreichen Schriften die Luther nach 1517 veröffentlichte wurde er bereits als Ketzer verurteilt und mit dem Kirchenbann belegt. Sein ihn schützender Landesherr, Friedrich der Weise, setzte dies jedoch nicht um und verlangte, dass Luther von der höchsten Instanz des Reiches, also von König und Ständen, versammelt auf dem Reichstag zu Worms angehört werden müsse. Diese Anhörung, bei der er seine Lehre vor allen Versammelten widerrufen sollte, fand am 17./18. April 1521 statt und ist eigentlich die entscheidende, weltgeschichtlich bedeutsame Szene seines Lebens.
Wenn man sich die Quellentexte ansieht, war Luther dabei am ersten Tag seiner Anhörung noch verzagt und anscheinend eingeschüchtert und soll nach Augenzeugenberichten leise und in sich gekehrt gesprochen haben; dieses Auftreten veränderte sich am zweiten Tag seiner Anhörung radikal, weil er klar und eben authentisch blieb, indem er feststellte: „Wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse oder einen klaren Grund widerlegt werde – denn allein dem Papst und den Konzilien glaube ich nicht; es steht fest, dass sie häufig geirrt und sich auch selbst widersprochen haben -,so bin ich durch die von mir angeführten Schriftworte überwunden.“ (Kaufmann, S. 131)
Die daran angelehnte, rhetorisch genial zugespitzte Pathosformel: „Ich kann nicht anders / hier stehe ich / Gott helfe mir / Amen“ ist bereits eine zeitgenössische sekundäre Ergänzung des von Luther Gesagten von Seiten seiner Mitstreiter, als dieser bereits auf der Wartburg versteckt wird.
In dieser lebensbedrohlichen Extremsituation hat Luther sicherlich nicht allein seine schriftstellerische Tätigkeit geholfen, obwohl die Angst um Leib und Leben die ihn begleitete anscheinend seine „Ausdruckskraft und Produktivität in einzigartiger Weise stimulierte“ (Kaufmann, S. 123), denn wie wir wissen wird er unter anderem während seines Wartburgaufenthaltes in nur drei Monaten das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzen. Auch statistisch lässt sich dies nachvollziehen, denn die gesamte Buchproduktion in Deutschland steigt mit Luthers Auftreten von rund 200 auf 900 Exemplare im Jahr. Aus diesen angedeuteten Gründen heraus ist immer wieder festgehalten worden, dass es sich bei der Reformation auch um eine Bildungsrevolution handelte, in deren Tradition auch wir an dieser Schule stehen. (Doch dazu hatte ich bereits gestern etwas gesagt.)
Trotzdem muss aus historischer Perspektive abschließend festgehalten werden, dass Luther in dieser Phase maßgeblich durch seinen Landesherrn, Friedrich den Weisen, geschützt wurde, der ihn nicht nur auf der Wartburg versteckte, sondern auch dafür sorgte, dass das Wormser Edikt, nach dem Luther für vogelfrei erklärt wurde, erst gut einen Monat nach der Flucht von Luther öffentlich verlesen und damit erst ab diesem Zeitpunkt wirksam wurde und ihm selbst als Kürfürsten auch niemals offiziell zugestellt wurde, sodass es in seinen Territorien – und in diesen hielt Luther sich auf – keine Rechtskraft besaß.
Ich weiß wohl um die Erwartungen, die man als Schüler, Eltern und Kollege an eine Abschlussrede hat. Ob ich aber hier und jetzt allen Erwartungen in Qualität und Quantität, in Gelehrsamkeit und Spannung gerecht werden kann, weiß ich allerdings nicht. Martin Luther hat das für sich aber folgendermaßen fixiert:
„Eines guten Redners Amt oder Zeichen ist, dass er aufhöre, wenn man ihn am liebsten höret“
Womit ich mich endgültig meinen vorrangigen Adressaten zuwenden möchte, denn vermutlich habt ihr euch so oder ähnlich in dem einen oder anderen Einzelfalle auch in Richtung des die Unterrichtsstunde beendenden Schulgongs gesehnt. Nun habt ihr, die ihr teilweise seit dem August 2008, diese Schule belebt habt, das Ende eurer Schullaufbahn erreicht – übrigens habt ihr dabei deutlich mehr Unterrichtsfächer kennenlernen dürfen als unser junger Martin Luder, denn damals gab es nur die Pflichtfächer Grammatik, Rhetorik, Logik, Deutsch und Latein.
Mir sitzen heute insgesamt 80 Abiturientinnen und Abiturienten gegenüber, allein 17 davon mit einem Einserschnitt, was sensationell gut ist; sie haben insgesamt einen Abiturdurchschnitt von 2,64 erreicht haben. Obwohl dieser Gesamtdurchschnitt aller Abiturienten an der EGG nicht so gut ist wie in den letzten acht Jahren und wir auch einige Misserfolge in der vierten Abiturfachprüfung hatten sowie zahlreiche weitere Prüfungen nach den Klausuren erfolgen mussten, gehen wir doch davon aus, dass wir an der EGG auch in diesem Jahr (wie bislang immer!) wieder besser sind als der errechnete Landesdurchschnitt aller Gesamtschulen in NRW.
Und dabei ist nur eine Minderheit von euch nach der Grundschule mit einer reinen gymnasialen Empfehlung an der EGG oder anderen Schulen gestartet, denn insgesamt erhalten heute 9 Schülerinnen und Schüler das Abitur die ursprünglich nach dem 4. Schuljahr lediglich eine Hauptschulempfehlung erhalten hatten und 47 unserer heutigen Abiturienten gingen mit einer Realschulempfehlung von der Grundschule ab. Insgesamt haben also in diesem Jahrgang 70% aller Schülerinnen und Schüler ihr Abitur abgelegt, die normalerweise keinen Zugang an einem Gymnasium gefunden hätten – eine eindrucksvolle Ziffer!
Wir entlassen euch ins nachschulische Leben und ein Moment wie dieser ist immer etwas Besonderes und lässt vermutlich alle nicht kalt. Schon die Anrede macht das bewusst. Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, habe ich vorhin gesagt, und damit die letzte Gelegenheit genutzt, als euer Schulleiter zu euch zu reden.
Wenige Minuten noch, und alle Beziehungen zwischen euch und dieser Schule und ihren Menschen werden ergänzt oder ersetzt durch Wörter wie „ehemalig“ oder „früher“. Meine ehemalige Schule. Mein früherer Schulleiter, Oberstufenleiter, meine frühere Beratungs- oder Englischlehrerin.
Ich wünsche euch, dass eure Zeit an der EGG irgendwann rückblickend zu den guten Zeiten eures Lebens gehören mag und dass ihr weitere gute Zeiten in der Zukunft folgen mögen, auch dann wenn ihr euch gemäß des Mottos „Sonne“ in eurem Abiturgottesdienstes - auf euren zukünftigen Weg begebt, der auch einmal stürmisch und kühl sein kann. Ihr habt diese Schule mit Leben gefüllt. Ich sage im Namen der EGG: Herzlichen Dank!
Sie, liebe Eltern haben ihre Kinder zu unterschiedlichen Zeiten an die EGG angemeldet und ihre Erwartungen mögen von daher unterschiedlich gewesen sein. Wer sein Kind vor 9 Jahren hier angemeldet hat, hat eine andere Geschichte mit unserer Schule als derjenige, der die EGG erst in der Oberstufe kennen gelernt hat. Ich hoffe, Sie hatten selten Grund, an Ihrer Entscheidung zu zweifeln und Sie sind heute mehr denn je überzeugt, dass diese Entscheidung nicht schlecht war. Wir bedanken uns bei Ihnen für das geschenkte Vertrauen.
Vielleicht wollen trotzdem einige von Ihnen unsere Schule weiterhin unterstützen, indem sie einfach Mitglied im Förderverein bleiben – das wäre eine schöne und erfreuliche Geste. Vielleicht möchten Sie (oder ihre Kinder) auch zukünftig zu besonderen Veranstaltungen eingeladen werden (Konzerte, Feste); deswegen geht während der Feierlichkeiten eine Liste herum, in der sie sich mit ihrer Mailadresse eintragen können und zukünftig gezielt, aber maximal dreimal im Jahr per Mail eingeladen werden. (bislang 123 Alumniadressen)
Bedanken möchte ich mich in aller Namen, denke ich, auch bei den Lehrerinnen und Lehrern, die im Laufe der Jahre euch bzw. Ihre Kinder begleitet haben. Für deren Engagement, Langmut, Freundlichkeit und Anteilnahme. Dafür, dass sie in euch mehr gesehen haben als Schülermaterial, mit dem zu arbeiten war. Dass sie euch als Individuen wahrgenommen haben und zu fördern suchten und sich bemüht haben, euch gerecht zu werden und dabei authentisch geblieben sind.
Auch zu der Arbeit der Lehrerinnen und Lehrern hat Martin Luther - eine recht ungewöhnliche – Aussage getätigt:
„Wenn einer ungefähr zehn Jahre im Schuldienst gewesen ist, dann kann er mit gutem Gewissen aufhören, denn die Arbeit ist groß und wird ein wenig zu gering geachtet.“
Wo wir euch Schülerinnen und Schülern etwas schuldig geblieben sind oder uns aus eurer Sicht schuldig gemacht haben, hoffen wir auf Nachsicht und Verzeihen, wir sind darauf genauso angewiesen wie jeder andere Mensch auch.
Ihnen, liebe Eltern, waren Ihre Kinder nicht einerlei. Und wir Lehrer fühlten uns mit Ihnen verantwortlich für die Erziehung und Bildung Ihrer
Kinder. Dass es das Ziel eurer Lehrer an der EGG war, euch neben Wissen auch Werte und Weisheiten zu vermitteln und euch damit fit für das Leben zu machen, mögt ihr mir glauben.
Ihr alle, die Ihr gleich eure Zeugnisse bekommt, habt etwas geleistet und durch eure jeweilige Anstrengung auch zu den Leistungen der anderen beigetragen. Niemand lernt für sich allein, und wo Lernen an der EGG gelingt, sind immer viele beteiligt: die Lehrkräfte, die Klassengemeinschaft, in der sich konkurrierend aber hoffentlich ohne Konkurrenzdruck, im leistungsfördernden Wettbewerb aber normalerweise ohne bissige Rivalität etwas entwickeln kann.
Aus diesem Grund möchte ich auch in diesem Jahr stellvertretend für alle hier Sitzenden eine Schülerin nach vorne bitten: Laura Jarmolowicz
Ich gebe dir stellvertretend für euch alle ein kleines Buchpräsent mit auf den Weg, in das ich – obwohl die Zeugnisse erst gleich verteilt werden – folgende Zeilen hineingeschrieben habe:
„Herzlichen Glückwunsch zum besten Abitur an der EGG im Abschlussjahr 2017. Ich wünsche dir viel Erfolg und Gottes Segen auf deinem weiteren Weg – VF“ (Note: 1,3)
Das Buch: „Eine kleine Geschichte des Abiturs“ soll dich an den heutigen Tag der Ausgabe der Abiturzeugnisse erinnern.
Auch ihr seid jetzt ein Teil der „Geschichte des Abiturs“ und das wollen wir mit gutem Grund heute feiern. Und mit eurem jetzigen Know-how über wesentliche Entscheidungen Martin Luthers könnt ihr beruhigt weiter durch das Reformationsjubiläumsjahr gehen. Anders als den verbleibenden Lehrerinnen und Lehrern sowie den Schülerinnen und Schülern bringt dieses Jubiläum euch auch einen einmaligen Feiertag am 31. Oktober 2017 – für uns sind dort nur die Herbstferien.
In diesem Sinne verabschiedet sich die EGG in Dankbarkeit und Respekt von ihren Schülerinnen und Schülern und deren Eltern. Genießt diesen Tag und bleibt uns über diesen Tag hinaus verbunden!
Danke!