Abschlussfeier des Jahrgangs 10 im Schuljahr 2021/22

Abschlussrede 2022 für den Jahrgang 10



Als Schulleiter der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck begrüße ich sie alle herzlich zur diesjährigen feierlichen Zeugnisübergabe unseres Abschlussjahrgangs 10. Ungewöhnlich für mich immer noch, weil wir dies nach vielen Veränderungen in den letzten Jahren der Coronapandemie weiterhin in zwei Gruppen getrennt und nicht – wie zuvor - als Gesamtjahrgang begehen, da wir in dieser Veränderung eher eine Stärke als einen Nachteil gesehen haben. Wir setzen uns also über den Status Quo Bias hinweg, der besagt: Bestehendes wird gegenüber Neuem bevorzugt.

Und deshalb umso mehr: Alle Menschen, die heute bei uns sind, haben einen Grund gemeinsam zu feiern. Ich begrüße also die Schülerinnen und Schüler unseres neunzehnten Abschlussjahrgangs in der Sekundarstufe I mit ihren Familien oder Freunden sowie Teile des Kollegiums – Herzlich willkommen!



Beginnen möchte ich meine Abschlussrede mit einem Zitat:

Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben,

sie ist böse, gottlos und faul,

sie wird niemals so sein, wie die Jugend vorher,

und es wird ihr niemals gelingen,

unsere Kultur zu erhalten“



Und nein: Dieses Zitat stammt nicht aus einem aktuellen Zeitungskommentar oder einer Politikerrede der letzten Monate, in der beklagt wird, dass ihre Kinder wegen des Unterrichtsausfalls in Phasen des Lockdowns viel zu wenig gelernt haben, nein: Das Zitat stammt aus einer babylonischen Steintafel, deren Alter auf mindestens 3000 Jahre geschätzt wird.

Es gibt also durchaus Anlass zur Hoffnung!

Und das besonders, da ihre Kinder, sofern sie weiterhin an der EGG verbleiben werden, nach den Sommerferien mit schulischen iPads ausgestattet sein werden, also auch bei einem erneuten, sogenannten „Lernen auf Distanz“, dem weiteren schulischen Lernen kaum mehr Steine in den Weg gelegt sein werden. Und dies wird übrigens nicht nur für die Schüler:innen der Oberstufe, sondern für alle Schüler:innen an der EGG gelten.



Ich sprach gerade bewusst von dem schulischen Lernen, denn das Lernen an sich lässt sich überhaupt nicht vermeiden. Und das ist auch keine neue Erkenntnis, denn Wilhelm von Humboldt hielt bereits vor 200 Jahren fest:

Bilde dich selbst! Und dann wirke auf andere durch das, was du bist.“

Hiermit verbunden war im alten Preußen der durchaus hehre Wunsch, dass sich die schulische Bildung nicht nur auf Wissensvermittlung beschränken solle, sondern der persönlichen Entfaltung eine besondere Bedeutung zu verleihen habe.



Und etwas Bildung gehört immer auch in die Abschlussrede des Schulleiters hinein: was es dieses Mal ist, das habe ich eingangs bereits mit dem Beispiel der „Status Quo Bias“ angedeutet. Unter Bias versteht man in der Psychologie mentale, menschliche Faustregeln. Erforscht wurden mittlerweile mehr als 100 solcher kognitiver Verzerrungen (Bias). Dies ist so entscheidend, dass man in der modernen Psychologie den Menschen nicht mehr als rationales Wesen betrachtet, denn selten handelt er auf der Basis von Wahrscheinlichkeiten und Statistiken. Hier geht man eher von einer „begrenzten Rationalität“ aus.











Das ist nicht automatisch schlecht, denn: Wie sollen Menschen in jeder Situation relevante Fakten finden und kühl auswerten? In grauer Vorzeit wäre es Homo Sapiens nicht gut bekommen, wenn er bei einem Rascheln im hohen Gras zu einer Doktorarbeit über die statistische Häufigkeit spezifischer Tarnmanöver und Jagdstrategien des Säbelzahntigers im semiariden Savannenland angesetzt hätte, statt so schnell wie möglich wegzurennen. Flucht im Angesicht raschelnden Grases war eine sinnvolle, lebenserhaltende Reaktion. Lieber ein paar Mal Fehlalarm, als einmal aufgefressen zu werden.



Heute sollte man (und frau natürlich auch) über unsere – das heißt immer auch die eigene - begrenzte Rationalität jedoch zumindest Bescheid wissen, denn diese hat Auswirkungen auf unser Verhalten und das innerhalb unserer Gesellschaft. Deswegen hier einige empirisch belegte Forschungsergebnisse:

  • Bestätigungsfehler (confirmation bias): Neigung, Informationen so zu interpretieren, dass sie scheinbar zu den eigenen Überzeugungen und Grundannahmen passen. Grundlage einer Interpretation sind also nicht die Fakten, sondern die eigenen Wünsche.

  • Verfügbarkeitsbias: Was einem als erstes in den Sinn kommt, gilt automatisch als wahrscheinlich. Was gedankliche Mühe kostet, gilt oft automatisch als weniger wahrscheinlich und glaubhaft.

  • Ankereffekt: Wer als erstes ein Angebot oder eine erste Forderung formuliert hat damit einen Anker geworfen, also einen Bezugsrahmen gesetzt. Erforscht wurde das am Beispiel des Gerichts. Fordert ein Staatsanwalt ein gewisses Strafmaß, richtet der Richter seine Entscheidung automatisch daran aus. Es ist also von Vorteil erst solo ein Urteil zu fällen und aufzuschreiben, bevor eine Partei eine Forderung aufstellt.

  • Der oft falsche Gedanke: „Alles was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen“ heißt Murphy’s Law

  • Status-Quo-Bias: (wie eingangs erwähnt): Bestehendes wird gegenüber Neuem bevorzugt.



In diesem Sinne hoffe ich, dass euch die letzten Jahre an der EGG qualifiziert haben, auch für euer weiteres berufliches Leben Wichtiges von Unwichtigem und Richtiges von Unrichtigem besser unterscheiden zu können. Vielleicht hilft es dabei ja doch, sich hin und wieder über die Macken des eigenen Denkens bewusst zu werden und zu akzeptieren, dass man selbst ebenfalls nicht mit der Gabe der objektiven Wahrnehmung gesegnet ist.

Auch beruflich ist für eure Generation eher Ungewissheit prognostiziert. Aus der Wissenschaft wird hierzu festgestellt, dass die meisten heutigen Schulabgänger, während ihres Berufslebens mindestens 3-4 Mal ihren Beruf aufgrund der Schnelllebigkeit unserer Zeit wechseln werden und viele von euch in 10 Jahren in Berufen arbeiten werden, die es heute noch gar nicht gibt. Um diese Zukunft meistern zu können, muss man eine Fähigkeit besonders ausgeprägt gelernt haben, nämlich die das ganze Leben lang zu lernen.

Zum lebenslangen Lernen gehört auch die Fähigkeit mit anderen zusammen zu arbeiten. Hinzu kommen eine positive Einstellung zum Lernen und zum Leben, die Bereitschaft Risiken einzugehen und Fehler nicht als etwas Schlimmes, sondern als Hilfe auf dem weiteren Weg zu betrachten. Wir hoffen, dass wir euch an der EGG mit diesen Fähigkeiten und mit diesen Kompetenzen ausgestattet haben.

Zur Freude einiger Kolleginnen und Kollegen führt die Art der heutigen Feier natürlich auch zu einer maximalen Sprechzeit für die Abschlussrede des Schulleiters, was mir nicht ganz leichtfällt und was ich auch keineswegs so gut beherrsche wie ein anderer bekannter Schulleiter, den ich an dieser Stelle zitieren möchte:

Willkommen!“, rief er. „Willkommen zu einem neuen Jahr in Hogwarts. Bevor wir mit unserem Bankett beginnen, möchte ich ein paar Worte sagen. Und hier sind sie: Schwachkopf! Schwabbelspeck! Krimskrams! Quiek! Danke sehr! Und er nahm wieder Platz.“

Das ist wahrhaftig kurz, so kurz, dass ich mich mit Hogwarts – als ich das Zitat vor 2 Jahren erstmals verwandte – gerne bei der Abiturrede 2023 für diesen Jahrgang noch einmal genauer beschäftigen werde, zumindest hatte ich das seinerzeit so angekündigt.



Unabhängig davon, ob sich unsere Wege nun trennen oder noch einige Jahre weiter gehen werden, wünsche ich euch, dass eure Zeit an der EGG irgendwann rückblickend zu den guten Zeiten eures Lebens gehören mag und dass ihr weitere gute Zeiten folgen mögen. Ihr habt diese Schule mit Leben gefüllt, euer Geist und eure Fröhlichkeit haben sie mitgeprägt. Ich sage im Namen der EGG: Herzlichen Dank !

Bei Ihnen, liebe Eltern, bedanke ich mich für das geschenkte Vertrauen, für kritische Fragen, ermutigende Rückmeldungen und für alle Unterstützung in den letzten (zumeist) 6 Schuljahren ihrer Kinder. Vielleicht möchten Sie auch zukünftig zu besonderen Veranstaltungen eingeladen werden (Konzerte, Feste); dafür geht während der Feierlichkeiten eine Liste herum, in der sie sich mit ihrer Mailadresse eintragen können und gezielt eingeladen werden. Auch meine Rede kann – wie immer und garniert mit einigen Fotos dieses Jahrgangs - auf unserer Homepage, dann bereits unter Ehemalige und dann Abschlussfeiern Jahrgang 10 – nachgelesen werden.

Euch, liebe Kolleginnen und Kollegen – und damit sind insbesondere die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer der letzten sechs (vier oder zwei) Schuljahre gemeint – danke ich für das andauernde Engagement, den Langmut und die Freundlichkeit mit der ihr eure Schülerinnen und Schüler in den letzten Jahren begleitet habt.

Ich möchte zum Ende meiner Rede hin stellvertretend für alle hier Sitzenden die Schüler:innen nach vorne bitten, die in diesem Jahrgang das beste Zeugnis ihres Anschlusses erzielt haben und denen ich als Widmung in das Buchpräsent geschrieben habe:

Herzlichen Glückwunsch zum besten Zeugnis deines Jahrgangs im Abschlussjahr 2022. Ich wünsche dir viel Erfolg und Gottes Segen auf deinem weiteren Weg.“ Dein Schulleiter, Volker Franken

  1. Gruppe:



10a: Noah Kacir

10b: Nina Ozheshko

10e: Noah Szalay





  1. Gruppe:


10c: Maximilian von Cieminski

10f: Bektas Armut + Michelle Schön + Fabian Twiehoff




Die EGG verabschiedet sich in Dankbarkeit und Respekt von ihren Schülerinnen und Schülern und deren Eltern, von denen uns wie wir wissen auch viele für weitere Jahre erhalten bleiben. Genießt diesen Tag. Es ist im Leben nicht oft so, dass man an einem lange angestrebten Ziel angekommen ist.

Zum Ende der Rede hin bin ich dann nochmals schwach geworden und muss sie – weil’s so schön ist – mit einem Zitat abschließen und habe dafür übrigens auch eine Bias ausgewählt, nämlich den Rhyme-as-a-reason-Effekt, nach dem Gereimtes eher als wahr empfunden wird als Ungereimtes – also: Herrmann Hesse



Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe

Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

In andre, neue Bindungen zu begeben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.



Herzlichen Dank für ihre Aufmerksamkeit.

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