Abiturrede
2018 – Johann Wolfgang Goethe
Liebe
Eltern und Großeltern, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe
Gäste, vor allem aber liebe Schülerinnen und Schüler
unseres zwölften Abiturjahrgangs an der EGG.
Als
Schulleiter der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck
begrüße ich sie alle herzlich zur diesjährigen
festlichen Abschlussfeier unserer Abiturienten. Alle Menschen, die
in unserem vollbesetzten Theater sitzen haben einen Grund gemeinsam
zu feiern, also: Herzlich willkommen!
Da
ich die meisten von euch bereits vor drei Jahren aus der
Sekundarstufe I verabschiedet habe muss ich mittlerweile darauf
achten, dass ich etwas anderes thematisiere als beim 10er-Abschluss –
denn sicherlich wissen die damals Beteiligten noch ganz genau,
worüber ich seinerzeit gesprochen hatte!
Oder
aber – und letzteres ist heute zutreffend: Damals wurde bereits
- eher zufällig - etwas von mir thematisiert, was sich
inhaltlich während eures Abiturs als eine für alle
entscheidende Lektüre herausgestellt hat: In diesem Falle Zitate
aus dem Werk `Faust‘ von Johann Wolfgang von Goethe. Und damit
schließt sich ein Kreis, anscheinend logisch vorherbestimmt wie
in dem Lied von Johannes Oerding, zwischen meiner 10er-Abschlussrede
und der heutigen Abiturrede.
Natürlich
könnte ich der Verlockung unterliegen, deswegen in Reimform zu
reden, aber dazu lasse ich mich nur einmal ganz kurz und zu Beginn
dieser Rede verleiten:
Drei
Jahre sind ´ne lange Zeit,
doch
heute ist es nun so weit.
Ihr
habt das Abi in der Tasche,
drum
Korken runter von der Flasche
und
dann gepflegt einen gehoben.
Doch
vorher nochmal alle loben.
Das
ist der Grund, dass ich hier steh´,
denn
jetzt kommt´s Schulleiterresümee.
Gar
nicht so leicht, denn: „alter Schwede“
Wie
schreibt man eine Abirede?
Ich
weiß zwar nicht, ob sich Johann Wolfgang nach diesem Versuch
gleich im Grab umgedreht hätte, aber er dichtet – wie ihr
wisst – ganz sicher literarisch auf einem deutlich höheren
Niveau, weshalb ich jetzt ausnahmslos ihn sprechen und mich höchstens
kommentieren lassen möchte, also zurück auf Start:
„Sie
sitzen schon mit hohen Augenbrauen
Gelassen
da und möchten gern erstaunen.“
Johann
Wolfgang Goethe wurde am 28.8. 1749 in eine wohlhabende bürgerliche
Familie hineingeboren und vermutlich wäre er nicht auf eine
Gesamtschule gegangen, wenn es eine solche damals bereits gegeben
hätte, aber wenn überhaupt, dann auf eine evangelische,
weil der Vater ein strenger lutherischer Protestant gewesen war. Die
Geburt des Jungen war wegen des unglücklichen Verhaltens der
Hebamme kompliziert. Das führt dazu, dass anschließend der
Großvater erstmals für die Stadt Frankfurt einen
Geburtshelfer einstellen ließ, der damit den
Hebammenunterricht auf ein deutlich besseres Niveau brachte.
Kommentieren kann ich das mit Goethes eigenen Worten:
„Der
Worte sind genug gewechselt,
Lasst
mich auch endlich Taten sehn!“
Zur
Schule ging Goethe nie, er wurde von Privatlehrern ausgebildet. 350
Jahre hätte ein einfacher Frankfurter Arbeiter malochen müssen,
um das Geld zu erarbeiten, was die Eltern für Goethes Bildung
ausgegeben haben. Hier war er natürlich unter strenger
Beobachtung des Herrn Papa, weshalb vermutlich jener Vers aus Faust
zu dieser Lebensphase passen würde:
„Ich
bin dabei mit Seel und Leib;
Doch
freilich würde mir behagen
Ein
wenig Freizeit und Zeitvertreib
An
schönen Sommerfeiertagen.“
Goethe
beginnt übrigens 1765 als 16jähriger sein Jurastudium in
Leipzig und Straßburg ohne Abitur gemacht zu haben, denn dieses
wurde erst 1788 in Preußen eingeführt. Hier genießt
er das Leben. Er verbringt seine freie und auch Teile der schulischen
Zeit nicht auf der Bismarckstraße oder bei Kaufpark, aber er
berichtet, dass ihn so mancher fette Krapfen auf dem Marktplatz von
seinem Unterricht abgehalten habe. Und die Erlebnisse in Auerbachs
Keller wären nicht so anschaulich gelungen, wenn er hier nicht
selbst zumindest Ortskenntnisse gehabt hätte. Sein Jurastudium
und seine anschließende Arbeit als Anwalt hinterlässt aber
keinen zufriedenen Menschen, weshalb er Faust sagen lässt:
„Habe
nun, ach! Philosophie,
Juristerei
und Medizin,
Und
leider auch Theologie
Durchaus
studiert, mit heißem Bemühn.
Da
steh ich nun, ich armer Tor!
Und
bin so klug als wie zuvor.“
Parallel
zu seiner eigentlichen Erwerbstätigkeit war er von Beginn an
literarisch tätig und galt nach den Veröffentlichungen des
„Götz von Berlichingen“ sowie des in vier Wochen
geschriebenen Buches „Die Leiden des jungen Werther“
schnell als ein besonderer Literat des Sturm und Drangs –
vielleicht ist dies zu beschreiben mit:
„Zwei
Seelen wohnen, ach! In meiner Brust,
Die
eine will sich von der andern trennen.“
So
folgt er 1775 mit erst 26 Jahren der Einladung des 18jährigen
Karl Augusts von Weimar ihn im dortigen Fürstentum zu besuchen.
Dabei handelte es sich um eines der kleinsten deutschen Fürstentümer
mit nicht mehr als 90.000 Einwohnern. Hier wird Johann Wolfgang
Goethe die nächsten 10 Jahre verbringen und war zeitweise
gleichzeitig Kultusminister, Verkehrsminister und Kriegsminister –
einer in dessen Amtszeit die Armee um die Hälfte reduziert
wurde, weswegen er anschließend auch Finanzminister wurde.
Aufgrund dieser Tätigkeiten und damit er mit Adeligen an einem
Tisch sitzen und auf Augenhöhe verhandeln konnte, verlieh ihm
Karl August 1782 das Adelsdiplom und wir sprechen ab diesem Zeitpunkt
von Johann Wolfgang von Goethe.
Welches
Zitat aus Faust zu diesem Abschnitt passt, da konnte ich mich nicht
entscheiden; deshalb für Sie eine Auswahl:
„Was
heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan.“
oder
„Hier
bin ich Mensch, hier darf ich sein.“
oder
„Es
irrt der Mensch, solang er strebt“.
Selbstverständlich
hege ich nicht die Absicht, die gesamte Biographie Goethes
nachzuzeichnen, aber ich möchte noch einmal auf das Thema
Religion zu sprechen kommen. Goethe hielt die offizielle Kirche mit
ihren Riten und Dogmen für bloßes Menschenwerk und zeigte
eher Sympathien für eine pantheistische Naturreligion. Sein
Grundgedanke war hier: Gott ist in allen Dingen, in jeder Pflanze und
jedem Stein. Mit kaum verhohlenem Selbstbewusstsein beschreibt er
diese Erkenntnis so:
"Die
Natur verbirgt Gott. Aber nicht jedem."
Seitdem
es in Preußen und später in Deutschland das Abitur gibt,
spielt auch das Werk von Goethe hier eine maßgebliche Rolle.
Bei einer Überprüfung aller literarischen Abiturthemen
zwischen 1901 und 1910 lagen beispielsweise die Themen die sich mit
Goethe beschäftigen eindeutig an der Spitze. Und wenn ihr meint,
dass eure Abiturthemen anspruchsvoll waren, dann lasst euch folgende
Titel für Deutschklausuren eines Gymnasiums in Herford einmal
auf der Zunge zergehen:
„Was
mag Goethe meinen, wenn er von der Höflichkeit des Herzens
spricht?“ (1888) oder „Mit welchem Recht schreibt Goethe
aus Rom an den Herzog Karl August: An diesem Ort knüpft sich die
ganze Geschichte der Welt an?“ (1906)
Dazu
kann man doch bloß sagen:
„O
glücklich, wer noch hoffen kann,
Aus
diesem Meer des Irrtums aufzutauchen.“
oder
„Die
Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“
Ich
weiß wohl um die Erwartungen, die man als Schüler, Eltern
und Kollege an eine Abschlussrede hat. Ob ich aber hier und jetzt
allen Erwartungen in Qualität und Quantität, in
Gelehrsamkeit und Spannung gerecht werden kann, mag ich nicht
entscheiden. Johann Wolfgang von Goethe hat das für sich aber
folgendermaßen fixiert:
„Bilde
mir nicht ein, was rechts zu wissen,
Bilde
mir nicht ein, ich könnte was lehren,
Die
Menschen zu bessern und zu bekehren.“
Mir
sitzen heute insgesamt 87 Abiturientinnen und Abiturienten gegenüber,
allein 13 davon mit einem Einserschnitt, was ziemlich gut ist; sie
haben insgesamt einen Abiturdurchschnitt von 2,58 erreicht, was
immerhin der drittbeste Gesamtdurchschnitt ist, den wir an der EGG
bislang hatten. Und dies ist umso überraschender als dass wir
auch einige Misserfolge in den vierten Abiturfachprüfungen zu
verzeichnen hatten sowie zahlreiche weitere Prüfungen nach den
Klausuren erfolgen mussten. Wir gehen jedoch davon aus, dass wir an
der EGG auch in diesem Jahr (wie bislang immer!) besser sind als der
errechnete Landesdurchschnitt aller Gesamtschulen in NRW.
Und
dabei ist nur eine Minderheit von euch nach der Grundschule mit einer
reinen gymnasialen Empfehlung an der EGG oder anderen Schulen
gestartet, denn insgesamt erhalten heute 4 Schülerinnen und
Schüler das Abitur die ursprünglich nach dem 4. Schuljahr
lediglich eine Hauptschulempfehlung erhalten hatten und 62 unserer
heutigen Abiturienten gingen mit einer Realschulempfehlung von der
Grundschule ab. Insgesamt haben also in diesem Jahrgang 73% aller
Schülerinnen und Schüler ihr Abitur abgelegt, die
normalerweise keinen Zugang an einem Gymnasium gefunden hätten –
eine eindrucksvolle Ziffer!
Wir entlassen euch ins
nachschulische Leben und ein Moment wie dieser ist immer etwas
Besonderes und lässt vermutlich alle nicht kalt. Schon die
Anrede macht das bewusst. Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
habe ich vorhin gesagt, und damit die letzte Gelegenheit genutzt, als
euer Schulleiter zu euch zu reden.
Wenige Minuten noch, und alle
Beziehungen zwischen euch und dieser Schule und ihren Menschen werden
ergänzt oder ersetzt durch Wörter wie „ehemalig“
oder „früher“. Meine ehemalige Schule. Mein früherer
Schulleiter, Oberstufenleiter, meine frühere Beratungs- oder
Biologielehrerin.
Ich
wünsche euch, dass eure Zeit an der EGG irgendwann rückblickend
zu den guten Zeiten eures Lebens gehören mag und dass ihr
weitere gute Zeiten in der Zukunft folgen mögen. Ihr habt diese
Schule mit Leben gefüllt. Ich sage im Namen der EGG: Herzlichen
Dank!
Nach
der Lektüre des Faust könnte man das folgendermaßen
zusammenfassen:
„Drei
Jahr ist eine kurze Zeit,
Und,
Gott! Das Feld ist gar zu weit.“
oder
„Grau,
teurer Freund, ist alle Theorie.
Und
grün des Lebens goldner Baum.“
Sie,
liebe Eltern haben ihre Kinder zu unterschiedlichen Zeiten an die EGG
angemeldet und ihre Erwartungen mögen von daher unterschiedlich
gewesen sein. Wer
sein Kind vor 9 Jahren hier angemeldet hat, hat eine andere
Geschichte mit unserer Schule als derjenige, der die EGG erst in der
Oberstufe kennen gelernt hat. Ich hoffe, Sie hatten selten Grund, an
Ihrer Entscheidung zu zweifeln und Sie sind heute mehr denn je
überzeugt, dass diese Entscheidung nicht schlecht war. Wir
bedanken uns bei Ihnen für das geschenkte Vertrauen.
Vielleicht
wollen trotzdem einige von Ihnen unsere Schule weiterhin
unterstützen, indem sie einfach Mitglied im Förderverein
bleiben – das wäre eine schöne und erfreuliche Geste.
Vielleicht möchten Sie (oder ihre Kinder) auch zukünftig zu
besonderen Veranstaltungen eingeladen werden (Konzerte, Feste);
deswegen geht während der Feierlichkeiten eine Liste herum, in
der sie sich mit ihrer Mailadresse eintragen können und
zukünftig gezielt, aber maximal dreimal im Jahr per Mail
eingeladen werden. Bislang habe ich hierfür knapp 150
Alumniadressen gesammelt.
Bedanken möchte ich mich
in aller Namen, denke ich, auch bei den Lehrerinnen und Lehrern, die
im Laufe der Jahre euch bzw. Ihre Kinder begleitet haben. Für
deren Engagement, Langmut, Freundlichkeit und Anteilnahme. Dafür,
dass sie in euch mehr gesehen haben als Schülermaterial, mit dem
zu arbeiten war. Dass sie euch als Individuen wahrgenommen haben und
zu fördern suchten und sich bemüht haben, euch gerecht zu
werden und dabei authentisch geblieben sind.
Wo wir euch Schülerinnen
und Schülern etwas schuldig geblieben sind oder uns aus eurer
Sicht schuldig gemacht haben, hoffen wir auf Nachsicht und Verzeihen,
wir sind darauf genauso angewiesen wie jeder andere Mensch auch.
Ihnen,
liebe Eltern, waren Ihre Kinder nicht einerlei. Und wir Lehrer
fühlten uns mit Ihnen verantwortlich für die Erziehung und
Bildung Ihrer Kinder. Dass es das Ziel eurer Lehrer an der EGG war,
euch neben Wissen auch Werte und Weisheiten zu vermitteln und euch
damit fit für das Leben zu machen, mögt ihr mir glauben.
Ihr alle, die Ihr gleich eure
Zeugnisse bekommt, habt etwas geleistet und durch eure jeweilige
Anstrengung auch zu den Leistungen der anderen beigetragen. Niemand
lernt für sich allein, und wo Lernen an der EGG gelingt, sind
immer viele beteiligt: die Lehrkräfte, die Klassengemeinschaft,
in der sich konkurrierend aber hoffentlich ohne Konkurrenzdruck, im
leistungsfördernden Wettbewerb aber normalerweise ohne bissige
Rivalität etwas entwickeln kann.
Aus diesem Grund möchte
ich auch in diesem Jahr stellvertretend für alle hier Sitzenden
folgende Schülerinnen und Schüler mit den besten
Abiturschnitten nach vorne bitten:
Leonie
Wendt (1,1)
Jens
Richter (1,4)
Fabian
Wolff (1,4)
Ich gebe euch stellvertretend
für euch alle ein kleines Buchpräsent mit auf den Weg, in
das ich – obwohl die Zeugnisse erst gleich verteilt werden –
folgende Zeilen hineingeschrieben habe:
„Herzlichen Glückwunsch
zum besten Abitur an der EGG im Abschlussjahr 2018. Ich wünsche
dir viel Erfolg und Gottes Segen auf deinem weiteren Weg – Dein
Schulleiter, Volker Franken“ (Note: 1,1)
Das Buch: „Eine kleine
Geschichte des Abiturs“ soll euch an den heutigen Tag der
Ausgabe der Abiturzeugnisse erinnern.
Und selbstverständlich
hätte ich auch aus diesem Buch einen Ansatzpunkt für eine
Abiturrede finden können, denn Karl Marx ist vor nunmehr 200
Jahren geboren worden und von seiner Abiturprüfung handelt das
erste Kapitel dieses Buches. Er musste damals noch sieben
schriftliche Arbeiten abliefern und sieben mündliche Prüfungen
absolvieren, zu denen auch drei Übersetzungen vom Deutschen ins
Lateinische bzw. Französische gehörten als auch die
Übersetzung eines griechischen Textes ins Deutsche. Im Fach
Geschichte behandelte der junge Karl Marx die Frage, ob die
Regierungszeit des Kaisers Augustus mit Recht zu den glücklicheren
Epochen des Römischen Reiches gezählt werden könne.
Übrigens fielen von den 32 ausnahmslos männlichen
Abiturienten im Jahrgang von Marx zehn durch die Prüfung, eine
Quote wie wir sie an der EGG hoffentlich niemals erleben werden.
Auch ihr seid jetzt ein Teil
der „Geschichte des Abiturs“ und das wollen wir mit gutem
Grund heute feiern.
In diesem Sinne verabschiedet
sich die EGG in Dankbarkeit und Respekt von ihren Schülerinnen
und Schülern und deren Eltern. Genießt diesen Tag und
bleibt uns über diesen Tag hinaus verbunden!
Danke!