Abiturrede
2021
Liebe
Eltern und Verwandte, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,
vor allem aber liebe Schülerinnen und Schüler unseres
fünfzehnten Abiturjahrgangs an der EGG.
Als
Schulleiter der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck
begrüße ich euch und sie alle herzlich zur diesjährigen
Zeugnisübergabe unserer Abiturienten. Ungewöhnlich
natürlich, weil wir diese coronabedingt in vier geteilten
Gruppen und in einem ungewohnten Ambiente durchführen. Alle
Menschen, die in unserem Theater sitzen haben aber trotzdem einen
Grund gemeinsam zu feiern, also: Herzlich willkommen!
Da
meine Abiturrede in diesem neuen Setting etwas kürzer als sonst
ausfallen muss, werde ich sie fokussieren auf jeweils einen Aspekt
der Serie „Game of Thrones“, aber um es mir selbst und
einigen Zuhörer*innen, die ebenfalls heute vier Zeugnisübergaben
miterleben dürfen, etwas spannender zu machen, wird es jeweils
einen eigenen, unterschiedlichen Mittelteil geben. Aber da ja Fotos
von euch und auch meine Reden auf der Homepage unter: Ehemalige –
Abiturfeiern gespeichert werden, wäre ja für Interessenten
alles jederzeit nachlesbar.
Den
Schwerpunkt aller vier Teile meiner Darstellung – wen wird es
an dieser Schule wundern – bilden die Religionen, die in Game
of Thrones verarbeitet sind. Dabei ist allen Leserinnen der Bücher
und auch Sehern dieser weltweit erfolgreichsten Serie der 2010er
Jahre deutlich, dass es sich hierbei nicht nur um ein
Actionspektakel, sondern um eine Welt voller Götter,
Priesterinnen und Glaubensfragen handelt, in die es lohnt tiefer
einzudringen, denn es gilt hier, wie auch an anderen Stellen: wer
mehr weiß, sieht mehr.
Zu
sich selbst sagt George R.R. Martin: „Ich schätze, ich bin
ein abgefallener Katholik. Sie würden mich für einen
Atheisten oder einen Agnostiker halten. Ich finde Religion und
Spiritualität faszinierend. Ich würde gerne glauben, dass
dies nicht das Ende ist und dass es irgendetwas mehr gibt. Aber ich
kann den rationalen Anteil in mir nicht davon überzeugen, dass
dies irgendeinen Sinn ergibt“
( https://ew.com/article/2011/07/12/george-martin-talks-a-dance-with-dragons)
In
einem anderen Interview zeigt sich der Autor der Bücher, George
R.R. Martin, unzufrieden darüber, wie beispielsweise in dem
Klassiker von Tolkien: „Der Herr der Ringe“ Religion
vorkommt: „Klar, der Herr der Ringe ist zutiefst geprägt
von der christlichen Ideenwelt des Autors. Aber es gibt keine Kirchen
und Kulte, Priester und heilige Schriften. Es gibt keine explizite
Religion in Mittelerde.“ Aber in allen bekannten Kulturen sind
Religionen ein zentraler Bestandteil der sozialen Realität. Doch
im Auenland oder in Gondor (oder bei Harry Potter) ist davon nichts
zu bemerken.
Alle
weiteren Ausführungen beziehen sich bei Zitaten auf das Buch von
Thorsten
Dietz: Gott in Game of Thrones, 2020.
Anders
also im Epos „Das Lied von Eis und Feuer“ und ich möchte
mich zuerst – ich nenne das einmal so - mit der Staatsreligion
befassen, obwohl die Verehrung der Sieben eine „Blackbox“
bleibt, weil „keine halbwegs wichtige Figur dieser Serie eine
Art inneres Leuchten aus dieser Religion“ (58) heraus erfährt.
Es handelt sich um die Staatsreligion, weil in der Millionenstadt
Königsmund die Große Septe, das höchste und
eindrücklichste Bauwerk von Königsmund steht. Anders als
viele andere Religionen, die in Game of Thrones geschildert werden
offenbart sich diese Religion durch eine heilige Schrift. „Für
ihre Auslegung gibt es ausgebildete Experten, weibliche und männliche
Amtsträger, die Septone und Septas. Dieser Glaube wird sichtbar,
in großen Tempeln, Bildern und Statuen, in rituellen Kleidern
oder Kerzen. Diese Religion kennt Glaubensgrundsätze, die man
anerkennen muss. Und sie bietet moralische Gebote für alle
möglichen Lebensfragen.“ (57) Die sieben verschiedenen
Vorstellungen des Gottes (Vater, Mutter, Krieger, Schmied, Jungfrau,
Altes Weib und das Fremde repräsentieren eine besondere Seite
der Gottheit und erinnern an das Christentum. George R.R. Martin
erläutert in einem Interview ausdrücklich
(https://www.youtube.com/watch?v=S1wiqdd1K4A),
dass er „den Glauben an die Sieben aus seinen Erfahrungen mit
dem dreieinigen Gott im katholischen Christentum entwickelt hat.“
Gemeint ist hier vermutlich explizit die hierarchische Struktur der
Priesterschaft oder das Vorhandensein eines zentralen Heiligtums.
Game
of Thrones – Teil 1, oder: „Der siebeneinige Gott“
Anders
also im Epos „Das Lied von Eis und Feuer“ und ich möchte
mich zuerst – ich nenne das einmal so - mit der Staatsreligion
befassen, obwohl die Verehrung der Sieben eine „Blackbox“
bleibt, weil „keine halbwegs wichtige Figur dieser Serie eine
Art inneres Leuchten aus dieser Religion“ (58) heraus erfährt.
Es handelt sich um die Staatsreligion, weil in der Millionenstadt
Königsmund die Große Septe, das höchste und
eindrücklichste Bauwerk von Königsmund steht. Anders als
viele andere Religionen, die in Game of Thrones geschildert werden
offenbart sich diese Religion durch eine heilige Schrift. „Für
ihre Auslegung gibt es ausgebildete Experten, weibliche und männliche
Amtsträger, die Septone und Septas. Dieser Glaube wird sichtbar,
in großen Tempeln, Bildern und Statuen, in rituellen Kleidern
oder Kerzen. Diese Religion kennt Glaubensgrundsätze, die man
anerkennen muss. Und sie bietet moralische Gebote für alle
möglichen Lebensfragen.“ (57) Die sieben verschiedenen
Vorstellungen des Gottes (Vater, Mutter, Krieger, Schmied, Jungfrau,
Altes Weib und das Fremde repräsentieren eine besondere Seite
der Gottheit und erinnern an das Christentum. George R.R. Martin
erläutert in einem Interview ausdrücklich
(https://www.youtube.com/watch?v=S1wiqdd1K4A),
dass er „den Glauben an die Sieben aus seinen Erfahrungen mit
dem dreieinigen Gott im katholischen Christentum entwickelt hat.“
Gemeint ist hier vermutlich explizit die hierarchische Struktur der
Priesterschaft oder das Vorhandensein eines zentralen Heiligtums.
Einerseits
ist diese Religion also par excellence ein Beispiel für den
engen Zusammenhang von Glaube und Krone, andererseits fehlt in der
Lehre der Sieben aber jede Heilsbotschaft – so interpretiert
wäre es also eine christliche Religion ohne Jesus Christus.
Die
Grenzen dieser Staatsreligion erlebt man in der Serie auf zweierlei
Weise. Einmal beispielhaft gekoppelt an den besten Freund von John
Schnee, Samwell Tarly, der nach seinem Scheitern an der großen
Mauer eigentlich die heiligen Schriften studiert und damit einen
traditionellen Weg beschreitet, bevor er sich letztendlich von diesem
siebeneinigen Gott seiner Väter lossagt. Diese Götter von
Westeros leuchten ihm nicht mehr ein. Seine eigenen Lebenserfahrungen
stimmen mit den überkommenen Gottesvorstellungen nicht mehr
überein. Darum verliert er seinen Glauben und trennt sich von
der bisherigen religiösen Praxis. Eine Parallelität mit
unserer westlichen Gesellschaft ist darin zu sehen, dass ein
„Resonanzverlust der klassischen Hochreligionen offensichtlich
ist“. So sind allein 2019 mehr Menschen in Deutschland allein
aus der evangelischen Kirche ausgetreten als Gelsenkirchen Einwohner
hat.
Ganz
akribisch nimmt sich George R.R. Martin die Sexualmoral der Großen
Septe vor. Wird auf der einen Seite sehr positiv beschrieben, wie die
Erneuerung der Großen Septe mit ihrer Erweckungsbewegung, den
Spatzen, selbst arm bleibt um den Armen besser dienen zu können,
so fallen auch entscheidende Figuren aus dem Königshaus über
die rigide Sexualmoral dieser Erneuerungsbewegung. Die von den
wenigsten in der Serie geliebte Cersei bringt so ihre
Schwiegertochter, die ihr zu mächtig geworden ist zu Fall (indem
sie die Homosexalität ihres Bruders verrät), bevor sie
selbst wegen der Liebe zu ihrem eigenen Bruder ins Gefängnis
muss.
Deutlich
wird in diesen beiden Erzählsträngen die Erfahrung gemacht,
die mit religiösem Fanatismus einhergeht. Auch hierfür
finden sich vielfältige, aus der Kirchengeschichte ableitbare,
Vorbilder. Ganz grundsätzlich – und dies ist insbesondere
ein Anliegen unseres eigenen Religionsprojektes in der Jahrgangsstufe
11 – wird es problematisch, wenn der mit einer Botschaft
„verbundene Wahrheitsanspruch, dass es nur diesen einen Gott
gibt, so zentral wird, dass das Erbarmen Gottes und das Gebot der
Nächstenliebe völlig hinter einem Wahrheitsanspruch
zurücktreten. Dann gibt es keinen Raum mehr für Toleranz.
Dann schwindet auch das Bewusstsein für die Vielfältigkeit
der biblischen Botschaft,“ (87) ja der religiösen
Botschaft überhaupt.
Man
sieht auch hier wieder: Immer geht es auch um lebenslanges Lernen –
bei euch in oder ich hoffe vor allem noch nach eurer Schulzeit.
Religiöse Fanatiker tun etwas, weil sie von ihrer Wahrheit so
überzeugt sind, oder besser: weil sie von ihrer Wahrheit
überzeugt sein wollen. „Das ist ein großer
Unterschied. Gelassene Gewissheit zeichnet sich dadurch aus, nicht
über jeden Zweifel erhaben sein zu wollen. (90) Sie ist auch in
der Lage das religiöse Anderssein nicht nur zu tolerieren,
sondern gegründet auf den eigenen religiösen Wurzeln auch
die Stärken dieser Andersartigkeit zu respektieren
du sich als gleichberechtigte Mitglieder in einer politischen
Gemeinschaft zu begegnen.
Game
of Thrones – Teil 2, oder: „Der Zweifel am Glauben“
Anders
also im Epos „Das Lied von Eis und Feuer“ und ich möchte
mich als zweites mit dem Zweifel am Glauben beschäftigen, denn
„viele Sympathieträger der Serie (John Schnee, Tyrion
Lennister, Daenerys Targaryen oder Arya Stark) sind nicht gläubig
in irgendeinen traditionellen Sinn. Und doch ringen sie mit
religiösen Fragen.“ (126) Der Frage: „Was rettet
uns, wenn der Winter naht?“ werde ich mich zwar erst im dritten
und vierten Teil meiner Abiturrede annähern, aber gilt das
Motto: „Der Winter naht“ auch Game of Thrones auch für
die Welt des Glaubens?
„Tyrion
Lennister sagt einmal über Varys: Mein Freund hat eine gesunde
Skepsis gegenüber der Religion. Diese Aussage könnte man
über die meisten Helden der Geschichte treffen.“ (111)
Begründet wird dies in der Serie mit der Unmenschlichkeit der
Eiferer eines bestimmten Glaubens, die diesen endgültig selbst
diskreditieren. Wie bei der ersten Gruppe dargestellt hat die
Spatzenbewegung Königsmund an den Rand des Bürgerkriegs
geführt und „die Anhänger des Herrn des Lichts lassen
keinen Zweifel daran, dass in ihren Augen alle, die ihren Gott nicht
annehmen, den Tod verdient haben.“ (115)
„Der
moderne Atheismus entsteht wesentlich aus der Kritik am moralischen
Versagen der Religionen. Game of Thrones zeichnet hier ein sehr
realistisches Bild.“ (116)
Aber
entgegenzuhalten ist, dass man doch das Versagen des Bodenpersonals
nicht immer Gott anlasten kann. Menschen scheitern, immer und
überall. „Aber es ist doch kein Grund, den Glauben an Gott
aufzugeben. Denn so schlimm die Verbrechen von Gläubigen sein
mögen; so oder so machen diese Dinge deutlich, wie sehr Menschen
erlösungsbedürftig sind.“ (116) Und damit ich an
dieser Stelle nicht missverstanden werde – wenn es solche Taten
gibt, dann müssen sie geahndet werden. Mit christlicher Brille
kann man sogar sagen:
Man braucht den Glauben an Gott, um moralisch handeln zu können
– alle grundsätzliche Ausführungen dazu sind
hinterlegt.
Und
gerade die an Religion Zweifelnden, die auch die zentralen Helden in
der Serie sind, befinden sich in einer spirituellen Suchbewegung –
wie Arya Stark mit der ich mich in der dritten Runde
auseinandersetzen werde – oder verkörpern beinahe
klassische, biblische Motive. „Daenerys Targaryen wird als
Sprengerin der Ketten bezeichnet, als Befreierin der Sklaven und
Hoffnung der Unterdrückten. Daenerys ist eine klassische
Mosesfigur, inklusive der damit verbundenen Versuchlichkeit.“(127)
und die in ihrer Rache wie ein Pharao endet. John Schnee – mit
dem ich mich zum heutigen Abschluss hin bei der vierten Gruppe
beschäftigen werde – „erlebt im Verlauf der Handlung
Tod und Auferstehung auf eine Weise, die schon fast ein wenig zu
plump an das Vorbild Jesus angelehnt ist.“ (127)
Man
sieht auch hier wieder: Immer wieder geht um den Blick hinter die
oberflächlich, kämpfende Figur und eher um ihre
Beweggründe, Zielsetzungen, aber auch um das jeweilige
Schicksal, weshalb letztendlich Bran und nicht John, Daenerys oder
Arya den Thron besteigen wird. Übrigens eine Figur, die ganz und
gar der alten nordischen Glaubenswelt verhaftet ist.
Wichtig
für George R.R. Martin bleibt aber aus meiner Sicht: Religiöse
Fanatiker tun etwas, weil sie von ihrer Wahrheit so überzeugt
sind, oder besser: weil sie von ihrer Wahrheit überzeugt sein
wollen. „Das ist ein großer Unterschied. Gelassene
Gewissheit zeichnet sich dadurch aus, nicht über jeden Zweifel
erhaben sein zu wollen. (90) Sie ist auch in der Lage das religiöse
Anderssein nicht nur zu tolerieren, sondern gegründet auf den
eigenen religiösen Wurzeln auch die Stärken dieser
Andersartigkeit zu respektieren du sich als gleichberechtigte
Mitglieder in einer politischen Gemeinschaft zu begegnen.
Game
of Thrones – Teil 3, oder: „Die Rolle der Arya Stark“
Anders
also im Epos „Das Lied von Eis und Feuer“ und ich möchte
mich als drittes mit der Rolle einer Hauptfigur: Arya Stark,
befassen.
Valar
Morghulis – Alle Menschen müssen sterben! ist einer der
immer wiederkehrenden Schlüsselsätze der Serie und ohne
Zweifel spielt eine Hauptrolle der Tod, denn Tod und Sterben sind in
der gesamten achtteiligen Serie allgegenwärtig. Und eine
Protagonisten, mit einer sehr facettenreichen Entwicklung, ist Arya
Stark, zu Beginn noch ein junges Mädchen und zum Ende hin eine
junge Frau, die es sein wird, den Nachtkönig zu töten und
damit die lange Nacht zu beenden. „Am Ende tötet sie den
Tod – und rettet damit die Menschheit.“ (140) …
aber nicht zu schnell!
Als
junges Mädchen in der ersten Staffel führt sie folgendes
Gespräch:
Syrio:
Betest du zu den Göttern
Arya:
Den alten und den neuen.
Syrio:
Es gibt nur einen Gott. Und sein Name ist Tod. Und es gibt nur eines,
was wir dem Tod sagen. Nicht heute.
Von
diesem Punkt ausgehend erlebt man Arya, wie sie sich auf
unterschiedliche Art und Weise zu verteidigen lernt,
Überlebenslektionen lernt um schließlich zu einer einsamen
Rächerin zu werden, die diejenigen verfolgt und tötet, die
ihr und ihrer Familie Unrecht getan haben. Anders als andere
Menschen, die vor dem Schlafengehen an diejenigen denken, die sie
lieben, gehört es für Arya zum Ritual und zum Nachtgebet
die Menschen aufzuzählen, die auf ihrer Todesliste stehen.
Im
Rahmen der Rückreise zu ihrer Familie lernt sie den Tod in
vielerlei Facetten kennen. So trifft sie beispielsweise im Tempel des
vielgesichtigen Gottes auf die sogenannten gesichtslosen Männer.
Diese kümmern sich einerseits um die Verstorbenen und
Trauernden, führen also ein klassisches Werk der Barmherzigkeit
durch. Andererseits handelt es sich auch um einen Ort für
professionelle Sterbehilfe, da hier Verzweifelte und Sterbenskranke
einen
schmerzlosen Tod finden. Aber: Diese Gesichtslosen nehmen auch
Tötungsaufträge an – eine verstörende
Kombination.
Hier
wird Arya – im Prinzip einer buddhistischen Grundidee folgend –
ein Niemand. Persönlichkeit ist nach dieser Philosophie oder
Religion „eine Illusion. Ein Anhaften am äußeren
Schein. Wer ein Niemand ist, ist frei. Wer sich selbst überwunden
hat, dem bleibt kein Grund zur Furcht.“ (136) Arya wird also
ausgebildet und wir ein Niemand. Als sie aber ihren ersten
Auftragsmord ausführen soll, siegt ihr Gewissen und sie kann den
Mord nicht ausführen und kommt zu der Erkenntnis ihres eigenen
Ichs, wenn sie (auch am Ende ihrer Pubertät angekommen) sagen
kann: „Ein Mädchen ist Arya Stark von Winterfell. Und ich
gehe jetzt nach Hause. Arya weiß, wer sie ist und wo sie
hingehört. Beides hat sie so gründlich gelernt, wie man es
nur kann.“ (139)
Aryas
Weg ist die Geschichte einer Selbstwerdung. „Allem
Anpassungsdruck zum Trotz findet sie ihren eigenen Weg. Aber sie
lernt auch: Du bist niemand ohne die Beziehungen, die dich tragen.“
(142) Philosophiegeschichtlich spielt George R.R. Martin hier mit
einer existenzialistischen Lebenseinstellung nach dem Motto: „Sei
du selbst! Lass dich in keine Schablone pressen. Habe den Mut, ein
Einzelner zu werden. Nur wer sich der Angst vor dem Leben stellt,
wird wirklich frei.“ (141) Aber es gilt auch – bezogen
auf die Gesamtgeschichte: Im nahenden Winter von Game of Thrones
„überlebt nur das Rudel, nicht der einsame Wolf. Arya
musste ein einsamer Wolf werden, um zu überleben. Aber sie hat
auch deshalb überlebt, weil sie nie die Hoffnung aufgegeben hat,
das Rudel wiederzufinden. Es gibt kein Leben ohne das Netz der
Verbundenheit.“ (142 f.)
Schließen
möchte ich aber mit folgender Bemerkung: Bezogen auf das Thema
Tod ist die Storyline von Game of Thrones besonders herausfordend,
denn als Tyrion in seiner eigenen Zelle bald mit seiner Hinrichtung
rechnen muss kommt es zwischen ihm und Jon Schnee (der bereits einmal
von den Toten erweckt worden war, aber mehr dazu in meinem vierten
Teil, zu folgendem Dialog:
Tyrion:
Was mir gerade auffällt. Ich spreche mit dem einzigen Lebenden,
der weiß, wohin ich gehe. Und gibt es ein Leben nach dem Tod?
Jon:
Ich habe keines gesehen.
Eine
Herausforderung, weil christliches Denken diametral anders ist: „Im
Glauben an Jesus Christus beginnt das Leben, Leben in Fülle,
Leben in Gemeinschaft … Christen lieben das Leben. Darum
können sie das Sterben akzeptieren, aber niemals den Tod an
sich. Er ist der letzte Feind (1. Kor. 15,26). Sie glauben an ein
Leben nach dem Tod, weil sie an das Leben in Fülle vor dem Tod
glauben.“ (146)
Und
das erscheint mir heute auch im Hier und Jetzt unserer
Abiturfeierlichkeiten ein gutes Ende der Gedanken zu Game of Thrones
zu sein: Die Herausforderung ist als: ein Leben zu finden, das in
alle Ewigkeit gelebt zu werden lohnt.
Game
of Thrones – Teil 4, oder: „Die Rolle des Jon Schnee“
Anders
also im Epos „Das Lied von Eis und Feuer“ und ich möchte
mich als viertes mit der Rolle einer weiteren Hauptfigur, Jon Schnee,
befassen.
„Jon
Schnee ist der Mensch für andere. Während seiner Ausbildung
setzt er sich für den völlig überforderten Samwell ein
und schützt ihn vor Misshandlung und Verachtung.“ (194)
Auch die ewige Feindschaft zwischen der Nachtwache, der beide
angehören, und den Wildlingen ist ein tragisches Missverständis.
Jons Einsatz für diese trägt ihm tödliche Feindschaft
ein. Er wird von seinen eigenen Leuten hinterrücks getötet
um anschließend von der Priesterin Melisandre, die an einen
Herrn des Lichts glaubt, wieder von den Toten erweckt zu werden. Kurz
gesagt kann man erst einmal festhalten:
„Geboren
zum höchsten König, aber verkannt und verfolgt setzt er
sich unermüdlich für die Schwachen und die Ausgegrenzten
ein; er stirbt für die Seinen und wird auferweckt um im Kampf
für die Menschheit den Tod zu besiegen. In den Augen der roten
Priesterin Melisandre ist Jon Schnee >der Prinz, der uns
versprochen war<. Messianischer geht es nicht.“ (196f.)
Wo
Daenerys eine mosesähnliche Figur ist, „deren
Selbstvertrauen keinen Anflug von Zweifel mehr kennt, ist Jon ein
Messias voller Zweifel. Viele vertrauen auf ihn. Er glaubt weder an
einen Gott noch an sich selbst.“ (197)
Letztendlich
begegnet uns in ihm eine Person in der Tradition der Gattung einer
Heldenreise, die aber einen gebrochenen Helden hinterlässt. Er
tötet Daenerys, die mit ihrer Gewaltorhie zur Tyrannin geworden
ist, während sie sich küssen, wird selbst am Ende der
Geschichte aber nicht König, sondern endet wieder da wo sein Weg
begonnen hat, bei der Nachtwache an der großen Mauer. Natürlich
wäre er dort für den weiteren Verlauf der Geschichte
wichtig, wenn man – wie George R.R. Martin dies tut – die
große Mauer als Symbol dafür nimmt den nahenden Winter –
in den Augen des Verfassers ist damit der Klimawandel in unserer Welt
gemeint – zu bekämpfen. Aber hier endet zumindest die
filmische Fortführung der Buchserie.
Zum
Ende der Serie hin ist die Geschichte von Jon Schnee eng mit der von
Daenerys Targaryen, der Herrin der Drachen, verknüpft und zwar
bis in ihren Tod hinein. Ihr einzig verbliebener Drache, Drogon,
tötet aber nicht ihren Mörder, sondern vernichtet den
eisernen Thron, der sie zur Massenmörderin hat werden lassen.
„Der Drache wiederholt letztlich das, was Jon getan hat. Jon
opfert seine Liebe zu Daenerys um das Leben der Menschen willen. Und
der Drache opfert seine Mutter. Denn er verzichtet auf Rache an ihrem
Mörder. Mehr noch: Er vernichtet symbolisch das, wonach Daenerys
ihr Leben lang gestrebt hat.“ (209)
In
der Person des Jon Schnee gelingt es George R.R. Martin letztendlich
eine christusähnliche Figur zu erschaffen, die er aber immer
wieder scheitern lässt, sodass seine eigene skeptische Haltung
zum Christentum hier ihren expliziten Ausdruck verliehen bekommt.
Am
Ende der Serie beginnen die gebrochenen Helden übrigens jeweils
einen neuen Aufbruch: Sie suchen nach dem Drachen Drogon, wie Bran,
segeln mit einem Schiff in Richtung Westen und damit neuen Welten wie
Arya oder brechen wie Jon Schnee mit den Männern der Nachtwache
und den Wildlingen gen Norden, da die Mauer nicht mehr vor dem
nahenden Winter schützt.
Und
was ist das für eine gelungene Überleitung zu euch
Anwesenden selbst, wo ihr doch heute eure eigene, außerschulische
Reise beginnen werdet und euch ebenso auf eure eigene Heldenreise
begeben werdet.
Meine
sehr verehrten Gäste: Mir sitzen heute insgesamt 94
Abiturientinnen
und Abiturienten gegenüber, allein 18
davon mit einem Einserschnitt, was ein ziemlich guter Wert ist; alle
zusammen haben insgesamt einen Abiturdurchschnitt von 2,47
erreicht,
was immerhin der
zweitbeste Gesamtdurchschnitt ist, den wir an der EGG bislang hatten.
Und
dies ist umso überraschender, als dass wir auch einige
Misserfolge in den vierten Abiturfachprüfungen zu verzeichnen
hatten sowie zahlreiche weitere Prüfungen nach den Klausuren
erfolgen mussten. Wir gehen jedoch davon aus, dass wir an der EGG
auch in diesem Jahr (wie bislang immer!) besser sind als der
errechnete Landesdurchschnitt aller Gesamtschulen in NRW.
Und
dabei ist nur eine Minderheit von euch nach der Grundschule mit einer
reinen gymnasialen Empfehlung an der EGG oder anderen Schulen
gestartet, denn insgesamt erhalten heute 6 Schülerinnen und
Schüler das Abitur die ursprünglich nach dem 4. Schuljahr
lediglich eine Hauptschulempfehlung erhalten hatten (darunter eine
Schülerin mit dem Notendurchschnitt von 2,1) und 57 unserer
heutigen Abiturient*innen gingen mit einer Realschulempfehlung
(einige wenige mit eingeschränkter gymnasialer Empfehlung) von
der Grundschule ab (darunter zwei Schülerinnen mit dem
Notendurchschnitt von 1,0). Insgesamt haben also in diesem Jahrgang
64,29% aller Schülerinnen und Schüler ihr Abitur abgelegt,
die normalerweise keinen Zugang an einem Gymnasium gefunden hätten
– eine eindrucksvolle Ziffer! Daneben haben wir mit 35% den
bislang zweithöchsten Anteil an Schülerinnen und Schülern
mit Migrationshintergrund zu verzeichnen.
Wir entlassen euch ins
nachschulische Leben und ein Moment wie dieser ist immer etwas
Besonderes und lässt vermutlich alle nicht kalt. Schon die
Anrede macht das
bewusst. Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, habe ich vorhin
gesagt, und damit die letzte Gelegenheit genutzt, als euer
Schulleiter zu euch zu reden.
Wenige Minuten noch, und alle
Beziehungen zwischen euch und dieser Schule und ihren Menschen werden
ergänzt oder ersetzt durch Wörter wie „ehemalig“
oder „früher“. Meine ehemalige Schule. Mein früherer
Schulleiter, Oberstufenleiter, meine frühere Beratungs- oder
Biologielehrerin.
Ich
wünsche euch, dass eure Zeit an der EGG irgendwann rückblickend
zu den guten Zeiten eures Lebens gehören mag und dass ihr
weitere gute Zeiten in der Zukunft folgen mögen. Ihr habt diese
Schule mit Leben gefüllt. Ich sage im Namen der EGG: Herzlichen
Dank!
Sie,
liebe Eltern haben ihre Kinder zu unterschiedlichen Zeiten an die EGG
angemeldet und ihre Erwartungen mögen von daher unterschiedlich
gewesen sein. Wer
sein Kind vor 9 Jahren hier angemeldet hat, hat eine andere
Geschichte mit unserer Schule als derjenige, der die EGG erst in der
Oberstufe kennen gelernt hat. Ich hoffe, Sie hatten selten Grund, an
Ihrer Entscheidung zu zweifeln und Sie sind heute mehr denn je
überzeugt, dass diese Entscheidung nicht schlecht war. Wir
bedanken uns bei Ihnen für das geschenkte Vertrauen.
Vielleicht
wollen trotzdem einige von Ihnen unsere Schule weiterhin
unterstützen, indem sie einfach Mitglied im Förderverein
bleiben – das wäre eine schöne und erfreuliche Geste.
Vielleicht möchten Sie (oder ihre Kinder) auch zukünftig zu
besonderen Veranstaltungen eingeladen werden (Konzerte, Feste);
deswegen liegt heute eine Liste aus, in der sie sich mit ihrer
Mailadresse eintragen können und zukünftig gezielt durch
mich, aber maximal dreimal im Jahr per Mail eingeladen werden.
Bislang habe ich hierfür knapp 250 Alumniadressen gesammelt.
Bedanken möchte ich mich
im aller Namen, denke ich, auch bei den Lehrerinnen und Lehrern, die
im Laufe der Jahre euch bzw. Ihre Kinder begleitet haben. Für
deren Engagement, Langmut, Freundlichkeit und Anteilnahme. Dafür,
dass sie in euch mehr gesehen haben als Schülermaterial,
mit dem zu arbeiten war. Dass sie euch als Individuen wahrgenommen
haben und zu fördern suchten und sich bemüht haben, euch
gerecht zu werden und dabei authentisch geblieben sind.
Wo wir euch Schülerinnen
und Schülern etwas schuldig geblieben sind oder uns aus eurer
Sicht schuldig gemacht haben, hoffen wir auf Nachsicht und Verzeihen,
wir sind darauf genauso angewiesen wie jeder andere Mensch auch.
Ihnen,
liebe Eltern, waren Ihre Kinder nicht einerlei. Und wir Lehrer
fühlten uns mit Ihnen verantwortlich für die Erziehung und
Bildung Ihrer Kinder. Dass es das Ziel eurer Lehrer an der EGG war,
euch neben Wissen auch Werte und Weisheiten zu vermitteln und euch
damit fit für das Leben zu machen, mögt ihr mir glauben.
Ihr alle, die Ihr gleich eure
Zeugnisse bekommt, habt etwas geleistet und durch eure jeweilige
Anstrengung auch zu den Leistungen der anderen beigetragen. Niemand
lernt für sich allein, und wo Lernen an der EGG gelingt, sind
immer viele beteiligt: die Lehrkräfte, die Klassengemeinschaft,
in der sich konkurrierend aber hoffentlich ohne Konkurrenzdruck, im
leistungsfördernden Wettbewerb aber normalerweise ohne bissige
Rivalität etwas entwickeln kann.
Aus diesem Grund möchte
ich auch in diesem Jahr stellvertretend für alle hier Sitzenden
folgende drei Schülerinnen mit dem besten Abiturschnitt nach
vorne bitten:
Lena
Abbas (1,0)
Marie
Dallmann (1,0)
Hanna
Gröteke (1,0)
Ich gebe euch stellvertretend
für euch alle ein kleines Buchpräsent mit auf den Weg, in
das ich – obwohl die Zeugnisse erst gleich verteilt werden –
folgende Zeilen hineingeschrieben habe:
„Herzlichen Glückwunsch
zum besten Abitur an der EGG im Abschlussjahr 2021. Ich wünsche
dir viel Erfolg und Gottes Segen auf deinem weiteren Weg – Dein
Schulleiter, Volker Franken“
Das Buch: „Eine kleine
Geschichte des Abiturs“ soll euch an den heutigen Tag der
Ausgabe der Abiturzeugnisse erinnern.
Und selbstverständlich
hätte ich auch aus diesem Buch einen Ansatzpunkt für eine
Abiturrede finden können, denn Karl Marx ist vor nunmehr 200
Jahren geboren worden und von seiner Abiturprüfung handelt das
erste Kapitel dieses Buches. Er musste damals noch sieben
schriftliche Arbeiten abliefern und sieben mündliche Prüfungen
absolvieren, zu denen auch drei Übersetzungen vom Deutschen ins
Lateinische bzw. Französische gehörten als auch die
Übersetzung eines griechischen Textes ins Deutsche. Im Fach
Geschichte behandelte der junge Karl Marx die Frage, ob die
Regierungszeit des Kaisers Augustus mit Recht zu den glücklicheren
Epochen des Römischen Reiches gezählt werden könne.
Übrigens fielen von den 32 ausnahmslos männlichen
Abiturienten im Jahrgang von Marx zehn durch die Prüfung, eine
Quote wie wir sie an der EGG hoffentlich niemals erleben werden.
Auch ihr seid jetzt ein Teil
der „Geschichte des Abiturs“ und das wollen wir mit gutem
Grund heute feiern.
In diesem Sinne verabschiedet
sich die EGG in Dankbarkeit und Respekt von ihren Schülerinnen
und Schülern und deren Eltern. Genießt diesen Tag und
bleibt uns über diesen Tag hinaus verbunden!
Herzlichen Dank!