Abiturrede
2023 – Albus Dumbledore in Hogwarts
Liebe
Eltern und Verwandte, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,
vor allem aber liebe Schülerinnen und Schüler unseres
siebzehnten Abiturjahrgangs an der EGG.
Als
Schulleiter der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck
begrüße ich euch und sie alle herzlich zur diesjährigen
Zeugnisübergabe unserer Abiturient:innen. Alle Menschen, die in
unserem vollbesetzten Theater sitzen, haben einen Grund gemeinsam zu
feiern, also: Herzlich willkommen!
Inhaltlich
hatte ich das Thema für meine diesjährige Abiturrede
bereits vor drei Jahren in unseren insgesamt sechs
Kleinstabschlussveranstaltungen unter Coronabedingungen festgelegt,
als ich eine Rede des – neben mir – bekanntesten
Schulleiters kurz zitiert habe und dies als Anlass dafür nehmen
wollte, sich mit ihm und seiner Schule bei der Abiturrede drei Jahre
später erneut zu befassen. Vermutlich erinnern sich alle
Anwesenden im Detail an meine Worte von damals.
Da
eine solche Abiturrede jährlich wiederkehrend eine große
Verantwortung ist, zitiere ich deswegen gerne Joanne K. Rowling, die
mit dem oben genannten Schulleiter in einem Abhängigkeitsverhältnis
steht und die bei einer Abschlussrede vor realen Absolventen in
Harvard 2011 folgendes formulierte:
„Eine
Abschlussrede zu halten, ist eine große Verantwortung.
Jedenfalls dachte ich das, bis ich mich an meine eigene
Abschlussfeier erinnerte. Die Rednerin damals war die britische
Philosophin Baroness Mary Warnock. Über Ihre Rede nachzudenken,
hat mir enorm geholfen, meine eigene zu formulieren. Denn ich kann
mich nicht an ein einziges ihrer Worte erinnern. Diese befreiende
Entdeckung erlaubt es mir weiterzusprechen, ohne dabei zu befürchten,
die Absolventen in einer unangemessenen Weise zu beeinflussen.“
Für
diejenigen, die sich also nun guten Gewissens nicht mehr an meine
Worte und mein Versprechen von vor drei Jahren erinnern – es
wird heute um Albus
Percival Wulfric Brian Dumbledore (*1881 - †1997) gehen, der
der Schulleiter von Harry Potter an der Hogwarts-Schule für
Hexerei und Zauberei gewesen war. Eine Schule übrigens an der
man sich – zumindest online – auch heute noch jederzeit
anmelden kann.
Hogwarts ist dabei
bei richtiger schulischer Betrachtung … eher eine Art
Berufskolleg als eine Gesamtschule, denn die dort unterrichteten
Fächer sind Fächer der Zauberei und damit zunächst
einmal rein anwendungsbezogen und praktisch ausgerichtet:
Zauberkunst, Zaubertränke, Verwandlung, Kräuterkunde,
Abwehr magischer Kräfte, Wahrsagen usw.
Das hört sich
auf den ersten Blick dann auch verlockend an, denn:
Wer möchte
nicht die Lottozahlen vorhersagen können?
Wer würde sich
nicht einmal gerne verwandeln (in eurer Mottowoche habt ihr das ja
eindrucksvoll selbst nachgewiesen) ?
Wer von allen
Anwesenden würde auch nicht gerne zaubern können?
Und so Manchen
unter euch wäre der Zauberspruch: „Zaubermolch und
Kolibrigesumm, dieses Wasser sei fortan Rum“ in den Tagen des
Feierns – so ich die zahlreichen diesbezüglichen Aussagen
aus der Abizeitung ernst nehme – nicht mehr als willkommen
gewesen?
Dennoch produziert
Hogwarts als Berufskolleg mit Internat mit einer an den Berufskollegs
unserer realen Welt zum Glück gar nicht möglichen
Beschränkung und Einengung fachlicher Bildung nur einen einzigen
Menschentyp: den Zauberer oder die Zaubererin. Dieser Menschentyp
kann infolgedessen auch nur in der Parallelwelt Harry Potters, der
magischen Welt, unter seinesgleichen leben. In der realen Welt würde
man Personen mit einer derart verkürzten und beengten
Bildungsperspektive als Fachidioten belächeln, bestenfalls
zauberhafte aber eben nur in bestimmten Gesellschafts- oder
Berufsnischen überlebensfähige Fachidiot:innen.
Insofern
bin ich froh, euch heute nicht das UTZ als unheimlich tolle
Zauberer:innen zu überreichen, sondern das ABI als Nachweis
eurer Allgemein-bildungsIntelligenz.
Hiermit seid ihr in unserer realen Welt überlebensfähig, da
ihr nicht nur spezifisches Fachwissen auf einer nur beschränkt
anwendungsbezogenen Nutzungsbasis erworben, sondern hoffentlich eine
Allgemeinbildung durchlaufen habt auf breiter Fächergrundlage,
im Spektrum allgemeiner und auf Selbständigkeit abzielender
Bildung.
Anders
als viele – zum Teil auch liebevolle – Fachidiot:innen im
Lehrkörper von Hogwarts, kann Dumbledore als allseits begabter
und weiser Generalist, der immer im Hintergrund wirkt, angesehen
werden. Belegbar ist das problemlos durch verschiedene Zitate –
an dieser Stelle nur beispielhaft drei kurze aus sechs Potterbänden:
„Es ist der
Wert der Überzeugung, der den Erfolg ausmacht. Nicht die Anzahl
der Anhänger.“
„Es ist nicht
gut, wenn wir unseren Träumen nachhängen und vergessen zu
leben.“
„Das ist das
Problem: Die Menschen haben den Hang, genau das zu wählen, was
am schlechtesten für sie ist.“
Vor
fast 26 Jahren, am 26. Juni 1997, erschien in Großbritannien
der erste Band dieser Saga um einen Jungen und seine beiden besten
Freunde, Hermine Granger und Ron Weasley, die wenig später die
ganze Welt kennen sollte. Mit mehr als 500 Millionen verkauften
Büchern in rund 80 Sprachen (zuletzt ist übrigens Jiddisch
mit einer Auflage von 3.000 Exemplaren hinzugekommen) gilt Harry
Potter als erfolgreichste Buchserie der Welt. Die erste Auflage des
Debütromans "Harry Potter und der Stein der Weisen"
umfasste demgegenüber gerade einmal 500 Exemplare - viele davon
gingen an Büchereien. Heute sind diese Erstausgaben
Sammlerstücke, die für hohe Summen gehandelt werden.
Da
die Leseförderung an der EGG im kommenden Jahr in den
Jahrgangsstufen 5 und 6 mit zusätzlichen 20 Unterrichtsstunden
pro Woche intensiv verstärkt werden wird, kann es natürlich
auch gut dazu kommen, dass hier die Lektüre von Harry Potter
eine Rolle spielen wird. Zumindest ich bin wie viele andere beim
Vorlesen aller sieben Bände mit meinen Töchtern in diese
Phantasiewelt eingetaucht und habe – natürlich auch gerne
überzeichnete - Lehrer wie Gilderoy Lockhart, einen
eingebildeten Schönling, der Bücher veröffentlicht hat
und mit seinem Können prahlt und später als Scharlatan und
Plagiator enttarnt wird, kennenlernen und auch über diese lachen
gelernt. Schule wird hier zu einem Ort, zu dem jede etwas sagen kann,
mit dem jeder von uns etwas zu tun hatte
oder in dem einige von uns sich auch nach der Entlassung dieses
Abiturjahrgangs weiterhin aufhalten werden.
Ihr
– liebe Abiturient:innen - verlasst nun den Ort Schule, der
euch neun Jahre
Arbeitsplatz und Lebensraum war, dem für euch -passend zu meinem
Motto- auch etwas Zauberhaftes anhaftet. Vorrangig nicht, weil dieser
so zauberhaft schön ist (wobei ich als Schulleiter diese
Rückmeldung über die EGG immer wieder rückgemeldet
bekomme), sondern weil er euch Möglichkeiten geboten hat, euch
auf das Leben draußen - außerhalb dieses zauberhaften
Abenteuerlandes - vorzubereiten:
Und
dies indem eure Schule euch nicht nur Vokabeln pauken ließ,
einigen wenigen den ACI beigebracht hat, abstrakt in Formeln zu
rechnen nötigte, sportliche
Bestleistungen abverlangte, Wissen
vermittelte und immer wieder eingefordert hat, um euch dann letztlich
das verdiente Abitur verleihen zu können.
Schule war für
euch in diesen neun Jahren aber auch Lebensraum: geregelt,
berechenbar und vor allem abgetrennt von der harten
Überlebensrealität außerhalb, ein Ort, an dem ihr
euch selbst ausprobieren konntet, der euch Werte vermittelte, euch
mit den verschiedenen Lehrer:innen- und Mitschülert:innenypen
Identifikationsangebote machte, kurzum euch die Möglichkeit
eröffnet hat, euch selbst zu finden und zu definieren.
Insofern ist es an
Tagen wie heute nicht nur wichtig, Bilanz zu ziehen, welche
Leistungen man erbracht hat, sondern auch, sich bewusst zu machen,
als welche Persönlichkeit man die Schule verlässt.
Der weise
Schulleiter von Hogwarts erläutert Harry Potter – aus
meiner Sicht - eine wichtige Erkenntnis von Schulbildung:
„Es sind
nicht unsere Fähigkeiten, die zeigen, wer wir sind, sondern
unsere Entscheidungen“.
In
der heutigen Zeit verlässt man sich in der Bildungspolitik oft
auf angeblich messbare Daten und Ergebnisse und entsprechend
analysierende Vergleiche. Dies mag in vielen Bereichen auch durchaus
sinnvoll sein. Dennoch täuscht diese Technokratisierung von
Bildung über die zweite wichtige und eben nicht exakt messbare
Aufgabe von Schule oftmals hinweg: die Ausbildung von
Persönlichkeiten, die reif sind, im Leben draußen zu
bestehen.
Ich bin heute fest
bin ich davon überzeugt, dass ihr euch nicht neun Jahre
durchgemogelt, pardon -gemuggelt habt, ansonsten befändet ihr
euch heute nicht in unserem Theater. Es bleibt also der Blick in die
Zukunft: Im ersten Band „Harry Potter und der Stein der Weisen“
findet sich die Aussage:
„Es gibt
Dinge, die man nicht gemeinsam erleben kann,
ohne dass man
Freundschaften schließt“.
Ich
denke, dass das so auch
mit neun Jahren Schulzeit ist: Behaltet dement-sprechend eure EGG in
freundschaftlicher Erinnerung und bleibt ihr ebenso freundschaftlich
verbunden.
Und in diesem Sinne
werde ich nun ganz konkret…
Meine
sehr verehrten Gäste: Mir sitzen heute insgesamt 75
Abiturientinnen und Abiturienten gegenüber, allein 14
davon mit einem Einserschnitt, was ein ziemlich
guter Wert ist; alle zusammen haben insgesamt einen
Abiturdurchschnitt von 2,57 erreicht – ob das reicht um - wie
bislang immer - besser zu sein als der Durchschnitt der Gesamtschulen
in NRW, weiß ich aber noch nicht.
Und
dabei ist nur knapp die Hälfte von euch nach der Grundschule mit
einer reinen gymnasialen Empfehlung an der EGG oder anderen Schulen
gestartet, denn insgesamt erhalten heute 6 Schülerinnen und
Schüler das Abitur die ursprünglich nach dem 4. Schuljahr
lediglich eine Hauptschulempfehlung erhalten hatten (darunter eine
Schülerin mit dem Notendurchschnitt von 2,6) und 36 unserer
heutigen Abiturient:innen gingen mit einer Realschulempfehlung von
der Grundschule ab (darunter eine der besten Schülerinnen mit
dem Notendurchschnitt von 1,0). Insgesamt haben also in diesem
Jahrgang 51% aller Schülerinnen und Schüler ihr Abitur
abgelegt, die normalerweise keinen direkten Zugang an einem Gymnasium
gefunden hätten – eine eindrucksvolle Ziffer! Daneben
haben wir mit 46% den bislang höchsten Anteil an Schülerinnen
und Schülern mit Migrationshintergrund zu verzeichnen. Dies sind
noch einmal 5 % mehr als im letzten Schuljahr.
Aber
in diesem Jahr gilt: Wo Licht ist, ist auch Schatten!
Dieser
Notenschnitt, der sich durchaus sehen lassen kann, ist nur zu
verstehen, wenn man weiß, dass die Notendurchschnitte all
derjenigen, die zwar zugelassen worden sind, aber die das Abitur
nicht bestanden haben aus dem Gesamtnotendurchschnitt herausgerechnet
werden. Und leider haben 7 zugelassene Schüler:innen das Abitur
nicht bestanden, was einem Anteil von 8,5% entspricht, eine Quote,
die so nur im letzten Jahr übertroffen wurde und die mehr als
dreimal so hoch ist wie der Durschnitt aus den letzten 10 Jahren.
Erklärbar
ist das für mich nur mit den besonderen Bedingungen der
Coronabeschulung während eines Teils der Oberstufenzeit sowie
der Zeit des Übergangs in die Oberstufe.
Wir entlassen euch
ins nachschulische Leben und ein Moment wie dieser ist immer etwas
Besonderes und lässt vermutlich alle nicht kalt. Schon die
Anrede macht das bewusst. Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
habe ich vorhin gesagt, und damit die letzte Gelegenheit genutzt, als
euer Schulleiter zu euch zu reden.
Wenige Minuten noch,
und alle Beziehungen zwischen euch und dieser Schule und ihren
Menschen werden ergänzt oder ersetzt durch Wörter wie
„ehemalig“ oder „früher“. Meine
ehemalige Schule. Mein früherer Schulleiter, Oberstufenleiter,
meine frühere Beratungs- oder Englischlehrerin.
Ich
wünsche euch, dass eure Zeit an der EGG irgendwann rückblickend
zu den guten Zeiten eures Lebens gehören mag und dass ihr
weitere gute Zeiten in der Zukunft folgen mögen. Ihr habt diese
Schule mit Leben gefüllt. Ich sage im Namen der EGG: Herzlichen
Dank!
Sie,
liebe Eltern haben ihre Kinder zu unterschiedlichen Zeiten an die EGG
angemeldet und ihre Erwartungen mögen von daher unterschiedlich
gewesen sein. Wer sein Kind vor 9 Jahren hier angemeldet hat, hat
eine andere Geschichte mit unserer Schule als derjenige, der die EGG
erst in der Oberstufe kennen gelernt hat. Ich hoffe, Sie hatten
selten Grund, an Ihrer Entscheidung zu zweifeln und Sie sind heute
mehr denn je überzeugt, dass diese Entscheidung nicht schlecht
war. Wir bedanken uns bei Ihnen für das geschenkte Vertrauen.
Vielleicht
wollen trotzdem einige von Ihnen unsere Schule weiterhin
unterstützen, indem sie einfach Mitglied im Förderverein
bleiben – das wäre eine schöne und erfreuliche Geste.
Vielleicht möchten Sie (oder ihre Kinder) auch zukünftig zu
besonderen Veranstaltungen eingeladen werden (Konzerte, Feste); dafür
geht während der Feierlichkeiten eine Liste herum, in der sie
sich mit ihrer Mailadresse eintragen können und gezielt
eingeladen werden. Bislang habe ich hierfür in den letzten
Jahren knapp 300 Alumniadressen gesammelt.
Auch
meine Rede kann – wie immer garniert mit einigen Fotos dieses
Jahrgangs - auf unserer Homepage, dann bereits unter Ehemalige und
dann Abschlussfeiern Abitur – nachgelesen werden.
Bedanken möchte
ich mich in aller Namen, denke ich, auch bei den Lehrerinnen und
Lehrern, die im Laufe der Jahre euch bzw. Ihre Kinder begleitet
haben. Für deren Engagement, Langmut, Freundlichkeit und
Anteilnahme. Dafür, dass sie in euch mehr gesehen haben als
Schülermaterial, mit dem zu arbeiten war. Dass sie euch als
Individuen wahrgenommen haben und zu fördern suchten und sich
bemüht haben, euch gerecht zu werden und dabei authentisch
geblieben sind.
Wo wir euch
Schülerinnen und Schülern etwas schuldig geblieben sind
oder uns aus eurer Sicht schuldig gemacht haben, hoffen wir auf
Nachsicht und Verzeihen, wir sind darauf genauso angewiesen wie jeder
andere Mensch auch.
Ihnen,
liebe Eltern, waren Ihre Kinder nicht einerlei. Und wir Lehrer
fühlten uns mit Ihnen verantwortlich für die Erziehung und
Bildung Ihrer Kinder. Dass es das Ziel eurer Lehrer an der EGG war,
euch neben Wissen auch Werte und Weisheiten zu vermitteln und euch
damit fit für das Leben zu machen, mögt ihr mir glauben.
Ihr alle, die Ihr
gleich eure Zeugnisse bekommt, habt etwas geleistet und durch eure
jeweilige Anstrengung auch zu den Leistungen der anderen beigetragen.
Niemand lernt für sich allein, und wo Lernen an der EGG gelingt,
sind immer viele beteiligt: die Lehrkräfte, die
Klassengemeinschaft, in der sich konkurrierend aber hoffentlich ohne
Konkurrenzdruck, im leistungsfördernden Wettbewerb aber
normalerweise ohne bissige Rivalität etwas entwickeln kann.
Aus diesem Grund
möchte ich auch in diesem Jahr stellvertretend für alle
hier Sitzenden folgenden Schüler und folgende Schülerinnen
mit dem besten Abiturschnitt von 1,0 nach vorne bitten:
Jonathan Süß
(1,0) und 824 Punkte
Jessica Hanowski
(0,8) und 850 Punkte
Kristin Lehrhove
(0,8) und 851 Punkte
Ich gebe euch
stellvertretend für alle Mitschüler:innen ein kleines
Buchpräsent mit auf den Weg, in das ich – obwohl die
Zeugnisse erst gleich verteilt werden – folgende Zeilen
hineingeschrieben habe:
„Herzlichen
Glückwunsch zum besten Abitur an der EGG im Abschlussjahr 2022.
Ich wünsche dir viel Erfolg und Gottes Segen auf deinem weiteren
Weg – Dein Schulleiter, Volker Franken“
In diesem Sinne
verabschiedet sich die EGG in Dankbarkeit und Respekt von ihren
Schülerinnen und Schülern und deren Eltern. Genießt
diesen Tag und bleibt uns über diesen Tag hinaus verbunden!
Vielen Dank!